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Die Liebe in Grenzen

Die Liebe in Grenzen

Titel: Die Liebe in Grenzen
Autoren: Veronika Peters
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Texte, Bilder, Videos. Es war alles dabei: Amateurtaucherfilme, Palmenstrände, Wasserfall, Südseeidyll, Moosgrün auf Azur, hübsch anzusehen. Ein One-Way-Ticket nach Palau, Mikronesien, Ende des Regenbogens, kostete anderthalbtausend Euro. Abgesehen davon hätte ich mir mit Freude eins gebucht, auf der Stelle. Den gelben Sonnenball auf himmelblauer Flagge wehen sehen, im lauwarmen Türkis schnorcheln und Delphine vorbeigleiten lassen, dagegen hätte ich wirklich nichts gehabt. Ich verbrachte eine Stunde mit Südseefantasien, bis mir wieder einfiel, was ich eigentlich suchte.
    Es gab aber keine Informationen über ein deutsches Hotel mit Namen Palau.
    Warum sollte jemand, der nicht einmal über eine Homepage verfügte, sein Haus nach einem südpazifischen Inselstaat nennen, wenn es am Rand eines Fischerdorfs an der holsteinischen Ostseeküste lag? Andererseits: Warum nicht? Der Name wirkte: Palau. Ein Wort, das sich um die Zunge dreht, wenn man es mehrmals hintereinander spricht: Palau, Palau, Palau, man kann kaum wieder damit aufhören.
    Sie hatte es aus einem Gedichtband von Gottfried Benn:
    Rot ist der Abend auf der Insel von Palau.
    In der Schule war meine Freundin Manu wegen der Weigerung, einen seiner Texte zu interpretieren, einmal beinahe nicht versetzt worden. » Mit jemandem, der sich von den Nazis vor den Karren spannen ließ, muss ich mich nicht beschäftigen!«, hatte Manu der Deutschlehrerin entgegengeschleudert.
    Ruth hatte gelacht, als ich ihr davon erzählte, und gesagt: » Alles in einen Topf werfen und durcheinanderbringen ist vielleicht ein Vorrecht der Jugend, aber glaub mir: So erhält man kein Menü, und niemand wird satt!« Ich starrte sie verständnislos an, aber sie lachte schon wieder ihr unverwechselbares Ruth-Gelächter: Laut und anfallartig, eher ein Gebrüll. Elisabeth sagte, sie habe ein Holzhackerlachen, das traf es.
    Sosehr mir Ruth auch gelegentlich auf die Nerven gegangen ist, es gibt vieles, das ich vermissen werde.
    Â» Die trunkenen Fluten fallen. Um die Insel von Palau«, hatte sie ein anderes Mal Herrn Benn zitiert, nachdem lediglich die Frage nach dem Wetterbericht gestellt worden war. Erst vor kurzem habe ich auch dieses Gedicht gefunden, dank eines aus Franks Bücherstapelwald herausragenden Lesezeichens: Die Fluten, die Flammen, die Fragen – und dann auf Asche sehn, steht da, und es erschreckt mich ein wenig, wenn ich daran denke, dass nicht einmal die Erwähnung eines Grabspruchs fehlt. Aber: Tu sais – du weißt, die Zeile steht da auch, und das hätte Ruth bestimmt nicht von sich behauptet.
    Am Ende sind es nicht die Fluten gewesen, derentwegen das Palau gefallen ist.
    Der Tod, die Trauer und das Feuer sind gekommen, wenn man es in Benn’scher Feierlichkeit sagen möchte, » bis auf die Grundmauern«, stand später in der Zeitung.
    Und trotzdem: Es wird mehr bleiben als ein Haufen Erinnerungen, viel mehr als Zorn und Traurigkeit. Aus und vorbei sieht anders aus.
    Ruth hätte gesagt: » Das liegt an dir.«
    Eine Stunde Bahnfahrt bis Kiel, zwei weitere in diversen Bussen, den letzten verpasste ich in Halsung knapp.
    Jetzt stand ich da im Aprilregen, den Rucksack geschultert, und fragte mich, was als Nächstes passieren würde. Schlimmstenfalls ein verregneter Tag am Meer mit Strandspaziergang, Fischbrötchen, frischer Luft. Das war auch nicht zu verachten. Zigaretten und Lesestoff hatte ich ausreichend. Der letzte Bus zurück fuhr um kurz nach sieben, mir blieb genug Zeit zu prüfen, ob die Tante eine sein wollte und mit welcher Form von Gastfreundschaft sie das zeigen würde. Vielleicht lebte sie gar nicht mehr dort. Die Informationen meines Vaters über sie waren etliche Jahre alt, da konnte einer Frau, die über zehn Jahre älter sein musste als er, alles Mögliche geschehen sein, aber daran hatte ich nicht gedacht, als ich losgefahren war. Über ihren Tod hätte man uns wahrscheinlich informiert. Längst jenseits des Rentenalters, konnte die Tante sich aber zur Ruhe gesetzt haben und vom Hotelbetrieb nur noch die monatlichen Überweisungen an das Seniorenheim zur Kenntnis nehmen, oder gar nichts mehr. Ich wusste nicht einmal, ob sie Kinder hatte.
    Ein Motorengeräusch ertönte, um die Ecke bog ein grauer Lieferwagen, auf den fröhliche Obststücke in Rot und Grün gemalt waren. Eine Birne grinste schräg zu der Sprechblase über ihr:
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