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Die Liebe in Grenzen

Die Liebe in Grenzen

Titel: Die Liebe in Grenzen
Autoren: Veronika Peters
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dünner war als sie selbst, die eine Hand um den Infusionsständer geklammert, die andere schlaff herunterhängend, und schaute stumpf in meine Richtung. Das Mädchen neben ihr zeigte ebenfalls keine Regung. Erst als ich Tamara und dann auch das Mädchen begrüßte – es ließ meine ausgestreckte Hand in der Luft stehen –, schlich es mit hängenden Schultern im Zeitlupentempo aus dem Raum.
    Es blieb bei diesem einen Besuch, ich sah Tamara nie wieder. Später hörte ich, dass sie nach zwei Monaten Klinik in eine Reha-Einrichtung an der Ostsee gekommen war, dort habe sie sogar das Abitur geschafft. Anschließend sei sie zum Studium ins Ausland gegangen.
    An all das dachte ich, während ich zu meinem Vorstellungsgespräch unterwegs war. Und mit jedem Schritt, den ich mich dem Gelände näherte, wuchs meine Unsicherheit. Was hatte ich mir da vorgenommen? Was hatte ich zu erwarten? Todtraurige Gespenster? Aber vielleicht schaffte man es auch in der Goldbachmühle, wieder lebensfähige Menschen aus den Patienten zu machen, so wie es bei Tamara der Fall gewesen war. Wenigstens von der Zielsetzung her und möglichst mit Türen, die zu jeder Tages- und Nachtzeit zu öffnen waren. Doch wie ich mir das konkret vorzustellen hatte, das konnte ich nicht sagen. Die Mühle konnte alles sein: Verwahranstalt von Verhaltensgestörten, Sanatorium für Schizophrene und Paranoiker, Erholungsheim für schräge Vögel aller Art. Ich wünschte mir nur, dass Leute dort wohnten und behandelt wurden, die noch darum kämpften, ihr Leben wieder in die eigenen Hände nehmen zu können, statt resigniert ihren Zustand hinzunehmen, wie ich das bei Tamaras junger Mitpatientin beobachtet hatte.
    Hinter dem Ortsschild bog ich auf den Feldweg ein, der längs des Goldbachs bis zum Waldrand führte. Ich lief weiter bis zur Abzweigung hinauf, die ich von meinen Spaziergängen bereits kannte. Rechts befand sich ein Schild mit der Aufschrift: Privat. Durchfahrt verboten. Anlieger frei.
    Unweit davon setzte ich mich auf einen großen Stein, der am Weg lag, sah auf die Uhr und stellte fest, dass ich noch mehr als genug Zeit hatte. Ich zupfte eine Haarsträhne zurecht und versuchte mich zu überzeugen, dass ich die ganze Sache entspannt angehen könnte. Das Sitzen machte mich aber unruhig, also raffte ich mich wieder auf, ging fünf-, vielleicht auch siebenmal vom Schild in den Wald und wieder zurück, stellte bei jedem Blick auf die Uhr fest, dass der Zeit meine Nervosität gleichgültig war. Schließlich bog ich in die schmale Allee zur Goldbachmühle ein, unschlüssig, ob ich ausnahmsweise vernünftig oder genau das Gegenteil dessen war.

3 – Das Gespräch
    R ehabilitationshaus für psychiatrieerfahrene Menschen stand auf der Messingtafel am Zaun neben dem weit geöffneten Eisentor.
    Â» Nicht verrückt genug für die Klinik, nicht fit genug fürs richtige Leben « , erklärte Konrad später. Auf mich wirkten die Worte auf der Tafel eher furchteinflößend. Ich fühlte mich unterqualifiziert, was ich mit Sicherheit auch war.
    Trotzdem ging ich weiter. Was hatte ich schon zu verlieren?
    Ein von Unkraut durchsetzter Kiesweg schlängelte sich vom Eisentor zu einem alten Klinkerbau, der mehr Ähnlichkeit mit einem norddeutschen Herrenhaus als mit einem Sanatorium hatte. Auf der Wiese davor blühten Krokusse, die Beete links und rechts waren frisch gejätet, einige prächtige alte Kastanien sowie ein kleiner Birkenhain gaben dem Ganzen etwas Verwunschenes. Links hinter dem Haus waren zwischen hohen Büschen Treibhäuser zu erkennen, eine Schubkarre mit Harken und Gartenabfällen, aber diesmal weit und breit kein Gärtner. Dahinter mussten sich die Gemüsebeete, die Weiden mit den Ponys und die Ställe anschließen, die ich gesehen hatte, als ich versehentlich das Gelände betreten hatte. Zwischenzeitlich waren die Zäune erneuert worden, sodass man sich nicht mehr so leicht hineinverirrte. Oder hinaus, was der wahrscheinlichere Grund für die Veränderung war.
    Ein Specht hämmerte in der Ferne, als plötzlich aus einem der weit geöffneten Fenster ein synthetischer Popsong aufjaulte, der seit Wochen im Radio gespielt wurde. Jemand versuchte mitzusingen, traf die Töne jedoch nicht einmal annähernd, das aber mit Inbrunst. Im selben Moment fing unmittelbar über mir eine Amsel zu zwitschern
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