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Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)
Autoren: Karin Fossum
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passiert. Ich dachte nur an dieses eine, daß niemand etwas erfahren durfte. Daß ich mich richtig verhalten und alle Spuren tilgen mußte, die Emil vielleicht hinterlassen hatte. Er trug sie in den Keller und legte sie in die Truhe. Dann lief er wieder nach oben, und ich klappte den Deckel zu. Als ich hochkam, wiegte er sich in seinem Sessel hin und her, und sein gackernder Vogel machte einen Höllenlärm, ich hätte ihm am liebsten den Hals umgedreht, so wie er sich aufführte. Dieses schrille, endlose Geschrei. Es war wie das Jüngste Gericht«, sagte sie verzweifelt.
    »Der stumme Emil, der sich im Sessel hin und her wiegte, der Gestank im Haus und der schreiende Vogel. Ich hätte am liebsten den Verstand verloren«, gab sie zu, »aber das ließ sich nicht machen.«
    Sie packte die Mineralwasserflasche und drehte sie auf dem Tisch. Vielleicht hatte sie Durst. Aber ihr fehlte die Kraft, die Flasche zu heben und dann das danebenstehende Glas zu füllen. Der Befehl aus dem Gehirn drang nicht bis zur Hand vor, sie drehte einfach immer wieder die Flasche. Sejer nahm sie ihr vorsichtig aus der Hand und kam ihr zu Hilfe. Endlich konnte sie das kalte Wasser trinken.
    »Ich fand, wir müßten sie wieder anziehen. Es mußten neue Sachen sein, die keine Spuren von uns aufwiesen. Ich wollte nicht, daß sie nackt gefunden würde. Denn ich dachte an ihre Mutter, wie schrecklich das für sie sein würde. Schließlich fuhr ich dann nach Hause. Ich beschloß, ihr ein Kleid zu kaufen. Jetzt weiß ich ja, daß das eine Dummheit war«, sagte sie und lächelte bitter. »Wenn ich in ein billiges Warenhaus gegangen wäre, dann hättet ihr mich nicht gefunden. Da ist doch immer solcher Betrieb, und es arbeiten nur junge Mädchen da. Die sehen sich die Kundschaft doch nicht einmal richtig an. Aber ich bin zu Olav G. Hanssen gegangen«, sagte sie. »Weil ich da immer einkaufe. Später bin ich dann zu Emil zurückgefahren, obwohl es fast Nacht war. Ich hatte doch keine Ahnung, was er noch alles anstellen könnte. Aber er saß noch immer in seinem Sessel. Ich sagte: ›Wir müssen dafür sorgen, daß sie sie finden, aber wir müssen noch warten. Wir müssen uns das genau überlegen.‹ Dann fiel mir das Rad ein. Emil hatte es hinter dem Haus vergessen. Ein roter Fahrradhelm hing über dem Lenker. Wir trugen es in den Keller. Eines Nachts habe ich es dann einfach weggebracht. Es mußte weit weg von unserem Haus. Ich habe es hinter ein Transformatorhäuschen geworfen, ich wußte ja, daß es dort bald gefunden werden würde. Dann warteten wir ein paar Tage. Den Helm habe ich hinter dem Haus vergraben, in einem Blumenbeet. Dort könnt ihr ihn finden«, sagte sie und schaute auf. »Unter dem Kellerfenster mit dem Sprung.«
    Sejer machte sich ein paar Notizen, und das schien ihr zu gefallen, daß alles aufgeschrieben wurde, so, wie sie es erzählte. Sie wartete höflich, bis er mit Schreiben fertig war, dann erzählte sie so flüssig wie bisher weiter. »Ich habe es die ganze Zeit vor mir hergeschoben. Es war einfach unmöglich, den Deckel wieder zu öffnen. So lange sie in der Truhe lag, konnte nichts passieren. Wir konnten sie weder sehen noch riechen. Ich konnte mir fast einbilden, daß alles nur ein entsetzlicher Albtraum gewesen war. Während ihr warten und warten mußtet. Aber ich mußte immer wieder an ihre Mutter denken, und ich wußte ja auch, daß es weniger schlimm für sie sein würde, wenn Ida erst gefunden wäre. Und begraben werden könnte. Es war ein Schock, die Truhe zu öffnen. Ida lag ganz starr in der Decke. Emil wollte ihre Wange streicheln, er war außer sich, als er merkte, daß die kalt wie Stein war. Es war unmöglich, ihr das Nachthemd anzuziehen«, sagte sie. »Daran hatte ich nicht gedacht. Also mußten wir wieder warten, bis sie, naja, Sie wissen schon, bis ihr Körper sich etwas gelöst hatte. Und das dauerte seine Zeit. Wir wären einige Male fast zusammengebrochen. Dann zogen wir sie an. Das machte große Mühe. Ich dachte an alles, was ihr feststellen könnt, an alle Spuren, die wir hinterlassen. Ich habe die ganze Zeit den Staubsauger benutzt. Dann haben wir sie wieder in die Decke gehüllt und mit Klebeband umwickelt. Emil trug sie für mich ins Auto, spätabends. Er wartete zu Hause im Wohnzimmer, während ich nach Lysejordet gefahren bin. Es war mitten in der Nacht. Dort habe ich sie ins Gras gelegt, dicht neben der Straße.«
    Sie verstummte. Ihr Gesicht hatte einen leeren Ausdruck, als hätten alle Gefühle
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