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Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)
Autoren: Karin Fossum
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Sofa in der Rezeption saß eine junge Mutter mit einem molligen Kind. Das Kleine hatte Locken und Apfelbäckchen, und Sejer konnte nicht feststellen, ob es sich um einen Jungen oder ein Mädchen handelte. Aber er registrierte, daß es auf dem Tisch von buntem Spielzeug nur so wimmelte. Astrid Brenningen, die Rezeptionsdame, hatte einen Kasten mit Dingen gefüllt, die ihre Enkelkinder ausrangiert hatten. Manchmal mußten kleine Kinder beschäftigt werden, während ihre Eltern einen Autodiebstahl oder ein anderes Mißgeschick meldeten. Sejer sah sich im Vorübergehen den Tisch an. Er sah Menschen und Tiere und Autos und etwas, das Ähnlichkeit mit einem Bagger hatte. Boote und Häuser und allerlei Maschinen und Werkzeug. Playmobil, dachte er. Damit hatte sein eigener Enkel früher auch gespielt. Und diese Dinge waren noch immer im Handel. Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Und zwar in dem Moment, in dem das Kind nach zwei Hunden griff, einem braunen und einem schwarzen, und sie auf dem Tisch aufeinander zuschob. Das Kind ließ die Hunde auf und ab hüpfen, danach entwickelte sich die Begegnung zu einem richtigen Hundekampf. Aus dem tief zwischen den Apfelbäckchen liegenden roten Schmollmund war wütendes Bellen zu hören. Das Kind bellte für beide Hunde, helles Bellen und dunkles Bellen. Sejer machte auf dem Absatz kehrt, er drehte auf dem gebohnerten Boden fast eine Pirouette und war dann verschwunden.
     
    Eine halbe Stunde später betrat er den Vernehmungsraum. Emil entdeckte die Einkaufstüte, die Sejer in der Hand hielt.
    »Das sind weder Kuchen noch Limonade«, sagte Sejer lächelnd. »Obwohl das nur richtig gewesen wäre.«
    Emil nickte. Er starrte weiterhin die Tüte an.
    »Ich habe lange mit deiner Mutter geredet«, sagte Sejer. »Sie hat mir allerlei erzählt. Ich weiß, daß du nicht sprechen willst. Aber ich dachte, du zeigst es mir vielleicht.«
    Er blickte Emil gespannt an und leerte die Tüte über dem Tisch aus. Emil machte große Augen. Dann wurde er plötzlich unsicher. Hatte Angst, daß hier etwas von ihm verlangt wurde, das er nicht schaffen würde.
    »Nur wenn du willst«, beruhigte Sejer ihn. »Playmobil«, erklärte er. »Schön, nicht?«
    Die Figuren lagen wild durcheinander auf dem Tisch, in einem Sonnenstreifen, der schräg durch das Fenster fiel. Ein kleines Mädchen mit gelbem Kleid und schwarzen Locken. Eine männliche und eine weibliche Figur. Ein rotes Motorrad, ein Fernseher, einzelne Möbel, unter anderem ein Bett. Eine Topfblume und ausgerechnet ein kleines weißes Huhn.
    »Heinrich der Achte«, erklärte Sejer und ließ das Huhn über den Tisch trippeln. Emil kniff skeptisch die Augen zusammen. Sejer stellte die Figuren auf. Er ging sehr langsam und schweigend ans Werk, und die ganze Zeit sah er dabei Emil an. Der war jetzt hellwach, und sein Gesicht zeigte, daß er aufmerksam alles verfolgte.
    Sejer hob das Mädchen hoch und hielt es zwischen den Fingern. Das Kleid war dottergelb und hatte dünne Schulterträger. »Ida«, sagte er und sah Emil an. »Schau her. Die Haare kannst du abnehmen«, sagte er. Er nahm die Haare von der Figur, wie man einen Deckel abnimmt, und ließ sie mit einem Klicken wieder auf den Kopf schnappen. »Sie können die Haare wechseln. Wie Menschen Perücken wechseln«, er lächelte. »Aber wir lassen das. Ida hatte doch dunkle Haare, oder?«
    Emil nickte. Er starrte die Figur lange an. Man konnte sehen, daß es in seinen Gedanken arbeitete, daß er die Ida, die er gekannt hatte, mit der kleinen Plastikfigur in Verbindung brachte.
    »Emil Johannes«, sagte nun Sejer und hob den Plastikmann hoch. Ein kräftiger Arbeiter in blauem Overall, mit einem Schutzhelm auf dem Kopf.
    »Den Helm nehmen wir ab«, schlug Sejer vor. Er stellte den Mann neben die Ida-Figur. Dann ordnete er Möbel und andere Gegenstände nach seiner Erinnerung so korrekt wie möglich an.
    »Das ist dein Haus«, sagte er und deutete auf dem Tisch ein Quadrat an.
    »Hier ist dein Wohnzimmer, mit Tischen und Stühlen. Mit dem Fernseher. Den Topfblumen. Hier ist dein Schlafzimmer, mit dem Bett. Das ist die Küche, mit Kaffeekessel und Kühlschrank. Hier sind die Menschen, die du kennst. Deine Mutter und Ida. Und hier ist Heinrich. Es gab keine Papageien«, entschuldigte er sich.
    Emil betrachtete die bunte Szene. Sejer setzte das Huhn auf einen Stuhl.
    »Erkennst du das alles?« fragte er.
    Emil nickte zögernd. Er verstellte einige Stücke, damit alles ganz richtig aussah.
    »Du kennst dein Haus
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