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Vampirdämmerung / Roman

Vampirdämmerung / Roman

Titel: Vampirdämmerung / Roman
Autoren: Sharon Ashwood
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1
    S
ie haben sie also an einer Kreuzung begraben.
    Manche Leute kitzeln so etwas aus anderen hervor.
    Conall Macmillan schob die Hände in seine Jackentaschen. Die herbstliche Dämmerung legte sich in blauen und grauen Schatten um ihn herum, schwer von der Feuchtigkeit des Meers. In wenigen Minuten wäre es vollkommen dunkel. Er konnte das Rauschen der Wellen in der Stille hören. Auf dem St.-Andrews-Friedhof war niemand, ausgenommen die Toten. Und er natürlich, obwohl man hätte streiten können, wo er im Leben-Tod-Kontinuum einzuordnen wäre.
    Das Grab lag auf dem Schnittpunkt zweier weiß gepflasterter Wege, genau an der richtigen Stelle, um ein lästiges Hindernis für Jogger und Spaziergänger mit Hunden zu bilden. Besonders groß war die Kreuzung nicht, aber ausreichend, um sie unten zu verbergen. Das wollte einiges heißen, denn diejenigen, die sie begraben hatten, waren Vampire, und Vampire ließen sich nicht so schnell Angst einjagen. Andererseits war die Frau, die nun unter der Erde ruhte, eine Dämonin gewesen, ein Supermonster, so durch und durch böse wie … Tja, womit verglich man so jemanden?
    Mac sah hinauf zum schwindenden Horizont, während ihn Erinnerungen einholten, die so schwarz und scharfkantig waren wie die Zedernsilhouetten vor dem Ozean. Eine plötzliche, kalte Übelkeit packte ihn bei dem Gedanken an Bilder, die gleichermaßen intim wie brutal waren.
    Wie ließe sich jener verzweifelte, furchteinflößende Hunger beschreiben, der ihn quälte, bis er den letzten Rest Menschlichkeit einem abgetragenen Bademantel gleich abwarf? Was war der silbrigen Süße vergleichbar, mit der ihm jede menschliche Seele über die Zähne und seine Kehle hinunterglitt wie ein köstlicher Sommerwein?
    Jedes Leben war ein Tropfen von Erleichterung inmitten einer Wüste peinigender Gier. Das war der Durst eines Dämons, eines Seelenfressers. Eines Mörders. Er wusste es, weil ebenjene Frau, die unter der Wegkreuzung begraben war, Mac dazu gemacht hatte. Zum wandelnden Bösen.
    Auf der Messingtafel des Grabsteins stand schlicht GENEVA . Ein Jahr war es her, dass sie, plötzlich menschlich und sofort tot, unter die Erde kam.
    Eine Windböe raschelte durch das Laub auf dem Rasen, ein Geräusch wie eine Vorahnung. Der Wind drehte sich, als die Sonne das Meer blutrot färbte, und blies Salzgeruch übers Land. Mac schritt um Genevas letztes Zuhause herum und betrachtete es aus allen Blickwinkeln.
    Wonach suche ich? Will ich mich vergewissern, dass sie tatsächlich da unten ist – menschlich, tot und verwesend, wie es sich gehört?
Keine schöne Vorstellung. Geneva war bei aller Verderbtheit wunderschön gewesen. Bis heute wurde ihm heiß, wenn er an sie dachte.
    Er war schon immer auf die falschen Frauen geflogen, die Sorte, die auf ein »Glücklich bis an ihr Lebensende« pfiff. Nach Jahren bei der Polizei bestand sein Leben praktisch nur aus Toten und Papierkram, und seine tägliche Dosis Blutgemetzel hatte ihn gründlich desillusioniert. Eine schnelle schmutzige Nummer im Dunkeln war alles, was er zu bieten hatte; da passten diese irren, bösen Mädchen hervorragend.
    Deshalb hatte er sich, als ihn eine hübsche Blondine zu einem Drink einlud, glücklich geschätzt und mitgespielt. Ein übler Fehler. Ein tödlicher Fehler.
    Nun war die Frau fürs Leben auf ewig unerreichbar. Selbst wenn er es wagte, sie sein zu machen, könnte er eines Tages die Kontrolle verlieren, und dann hieße es: »Liebling, ich habe die Kinder verputzt.«
    Eine niedrige Steinmauer umrahmte Genevas Grabstelle, die den aufgeschütteten Mutterboden hielt. Das Grab befand sich auf einem Hügel, von dem aus man alles überblickte: das Meer, Morgen von Eiben und Grabsteinen, sogar einen Ausschnitt der Ladenzeile im Norden. Wie passend! Geneva hatte es geliebt, im Mittelpunkt zu stehen.
    Nun liegt sie eben im Mittelpunkt, haha,
dachte Mac verbittert.
    Ein schales Gefühl überkam ihn. Es war gar nicht gut, wenn man über seine eigenen lausigen Wortspiele lachen musste. Ein Glück, dass er kein Trinker war. Es wäre viel zu schade, alles zu vergessen, selbst für einen kurzen Moment.
    Wumms!
    Ein Messer rammte sich in die Erde zu seinen Füßen, die Silberklinge vibrierte. Der dunkle Griff war von der typisch eleganten Schlichtheit aller Vampirwaffen.
    Mac duckte sich, und ein ekliges Kribbeln jagte ihm über sämtliche Stellen seines Rückens, in die ihn das Messer hätte treffen können. »Was ist?«, rief er ins Leere.
    Die Antwort
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