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Rund wie die Erde

Rund wie die Erde

Titel: Rund wie die Erde
Autoren: Eva Demski
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wollte ich wohl glauben, gewöhnte mir diesen Glauben aber früh wieder ab. Stomps gewöhnte sich ihn später ab und starb. Das spricht nicht gegen den Schnaps an sich und seine Verbindung zur Literatur, wenn auch eher die Produzierenden als die Konsumierenden mit ihm befreundet sind. Denn der Schnaps ist ein großer Beweis dafür, daß Lesen entschieden schwerer ist als Schreiben. Schreiben kann man mit Schnaps viel, lange und gelegentlich sehr gut. Lesen geht gar nicht, da sind sanftere Getränke angebracht, je nach Lektüre sehr verschiedene. Zu Dostojewskij etwa ein temperierter schwerer Burgunder und zu Flaubert schwarzer Tee mit Kirschkonfitüre. Sie meinen, umgekehrt? Eben nicht, eben nicht! Aber es ist natürlich jedem überlassen, ganz frei werden da die merkwürdigsten Verbindungen geknüpft und bleiben über Jahre im Gedächtnis. Für ewig bei den Buddenbrooks an Schwarzbrot mit falschem Lachs drauf denken, einer studentisch-einsamen Nachahmung der lübischen Gastmähler. Emma Bovary und kalte Wiener Würstchen mit Zitronenlimonade. Nein, es braucht niemandem schlecht zu wer
den. Es ist auch kein sich mit dem Älterwerden erschöpfendes Problem, wie gern behauptet wird. Essen und Lesen sind Schutzburgen, Fluchtschiffe, Mauern gegen den Lärm, Bastionen gegen das Fortschreiten der Häßlichkeit. Die braucht man als Erwachsener noch verzweifelter, es läßt sich aber nicht so leicht zugeben. Und was tun eigentlich die Männer, diese Armen, denen es nicht zugestanden wird, sich mit dem Ransmayr und einem Kasten Mozartkugeln für einen Nachmittag lang auf den Weg aus der Wirklichkeit zu machen? »Ich lese nur den Spiegel und Fachliteratur«, sagen die armen Männer. Was essen sie dazu? Ihr gräßliches Mittagessen bei der Bank oder beim Funk oder im Flieger? Davon sei hier nicht die Rede. Nicht die Trostlosigkeit des Zeitgewinns ist gemeint, sondern die Erhöhung und Vervollkommnung des Genusses. Soll doch jemand schreiben, was sich empfiehlt, gelesen und gegessen zu werden. Fassen wir uns in Geduld, bis wir in Franz Hohlers Schüsseln schauen dürfen, aber seien wir gewiß, daß das Lesen und das Essen zu den Notwendigkeiten gehören, die durch Verfeinerung erst erträglich werden.
    Ich höre schon die ganze Zeit das anschwellende Grollen der ernsten Bibliophilen beim Gedanken an Schokoladenfinger auf ihrer Ponge-Erstausgabe. Es sei gesagt, daß man zu Ponge auch keine Schokolade essen sollte, eher kleine Pfeffergürkchen, und die geben keine Flecken – der wahre Genießer weiß aufzupassen. Er wird nicht in Heidelbeerkompott schwelgend sich dem marmorierten Vorsatzpapier nähern, und er wird sich die Finger vor dem Berühren eines seidenmatten Pappeinbands gehörig abwischen. Das sind Selbstverständlichkeiten, die man gar nicht zu betonen braucht! Ich lese zu einem wunderbar gelungenen Broccolisoufflé schließ
lich auch keinen – wie heißt er noch? Der, bei dem immer so viel geheult, gepinkelt und ejakuliert wird? Ja, der! Also, es käme mir nicht in den Sinn, zu einer feinen, leichten und klugen Speise ein grobes und tumbes Buch zu lesen. Das Vergnügen an schön gemachten Büchern, die Ehrfurcht vor der Zerbrechlichkeit der alten Exemplare ergänzen sich aufs würdigste mit der Freude am Essen – und der Ehrfurcht vor dem Unterschied zwischen Speisen und Herunterwürgen. Es will ja so viel hinuntergewürgt werden, jeden Tag, immer mehr, immer unverdaulicher. Wer könnte beim Zeitungslesen noch essen, ohne daß es ihm gleich wieder aus dem Gesicht fiele? Wer will sich (wenn er ein gefühlvoller Zeitgenosse ist) das Frühstück mit einem Gemisch aus Korruption und Lügenbeutelei, Gift und Lärm, Mord und Totschlag vergällen? Eben. Und so frühstücke man lieber bei der Lektüre von Håkan Nesser, Patricia Highsmith oder Don Winslow, bei denen es um Korruption, Lügenbeutelei, Gift und Lärm, Mord und Totschlag geht. Kriminalromane zum Frühstück wappnen für die Wirklichkeit, ohne ihr gleich alle Rechte zu geben.
    Und bei der Liebe? Man sende dem oder der Geliebten einen Korb Gedichte und mehrere Bände Früchte, Pikanterien und Wein. Beides will zusammen genossen sein.
    Paprika, Chili, teuflische Schoten,
    Scharf sind die grünen, schärfer die roten –
    Am allerschärfsten sind die ganz kleinen,
    Sie bringen
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