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Rund wie die Erde

Rund wie die Erde

Titel: Rund wie die Erde
Autoren: Eva Demski
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die schärfsten Männer zum Weinen.

Lebensmittel
    Zum erstenmal hatte ich über die Liebe zu schrecklichem Essen nachgedacht, als ich mit einer Freundin am Kühlregal stand und deren Frage: »Was sollen wir denn hier? Wo ist die Käsetheke?« überhörte. Ich suchte nach Scheibletten und fand sie auch.
    Â»Das kann man doch nicht essen«, sagte sie.
    Ich erklärte ihr, daß es meine Lieblingssorte, Chester, leider nicht mehr gebe. Der war rosa. Eigentlich apricot. Deswegen nähme ich jetzt diesen. Obwohl er eine kränkliche Farbe habe, sei er immer noch besser als gar kein Scheibenkäse.
    Â»Das ist nicht dein Ernst«, sagte sie. »Das ist Müll! Gammelkäse! Da werfen sie alle möglichen schimmeligen Reste zusammen in große Tonnen und schmelzen sie ein, und dann färben sie sie. Dein rosa Käse, das ist betakarotingepanschter Mist.«
    Sie schüchterte mich völlig ein. Deswegen verzichtete ich darauf, ihr von dem Glück zu erzählen, das mir als Kind in Gestalt von Kakao und rosa Käse zuteil wurde. Warum es den nur gab, wenn ich krank war, weiß ich nicht. Der Milchhändler Salm schnitt ihn von einem schweren Block, der mit dünner Aluminiumfolie umhüllt war. Darauf stand Chester . Er war der Schmelzkäsevorgänger meiner geliebten Chester-Scheibletten. Um die Scheiben, die eine rauhe Konsistenz hatten, ganz anders als der gummiartige Scheibenkäse von heute, klebten dünne Alufädchen, die an den Zahnplomben ein elektrisches Gefühl machten.
    Ich folgte meiner Freundin zum Rohmilchcamembert. Das
war, als würde man statt einer Madeleine ein Rosinenbrötchen kaufen. Der Scheibenkäse hätte noch den Duft der Erinnerung, die Erinnerung an die Erinnerung sozusagen gehabt. Alles andere war eben einfach nur Käse.
    Die Sache ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Mußten nicht viele so einen Erinnerungsgeschmack, eine Marotte, ein kulinarisches Geheimnis mit sich schleppen? Es wurde nie darüber geredet. Statt dessen machten sich alle mit ihren Gourmetfähigkeiten wichtig und tauschten Rezepte und Restaurantempfehlungen aus. Aber, davon war und bin ich überzeugt: Die meisten erwachsenen Menschen haben eine dunkle Seite und schämen sich dafür, daß ihnen zum Beispiel nichts auf der Welt über Nudeln mit Maggi oder Bahlsenkekse in geschmolzener Schokolade geht. Sie verbergen das wie eine sexuelle Sonderbarkeit, und vielleicht bedeuten ihnen ihre meist einsamen Orgien etwas anderes als Essen. Vielleicht gibt es Lebensmittel, von denen man nie satt wird, egal, wieviel man davon ißt.
    Einem Erwachsenen kann niemand verwehren, Apfelsaft heißzumachen und dazu altes Schwarzbrot zu essen, das mit einem Hering eingerieben ist. Natürlich hat niemand, dem sein gesellschaftliches Leben etwas bedeutet, Lust, sich bei einer derartigen Mahlzeit erwischen zu lassen. Wenn es doch passiert, gibt es die Geschichte von einer Flucht, einer im Schnee gefundenen, fast gefrorenen Flasche Saft und einem geliehenen Hering, mit dem man sein Stück Brot abreiben konnte, damit es nach etwas schmeckte. Daß der Betreffende jedes Sternemenu für heißen Apfelsaft und Heringsschatten , wie er es nennt, stehenlassen würde, kann man nicht vermitteln, und schon gar nicht, daß diese Art Essen immer und immer wiederholt werden muß. Es genügt nicht, sich an seinen
Erinnerungen einmal gründlich zu überfressen, um sie endgültig los zu sein.
    Eine bestimmte Art Nahrung ist von Geschmack, Erziehung, Appetit, wahrscheinlich sogar von landläufigem Hunger völlig unabhängig. Dieses Essen funktioniert wie eine Art Wirtstier für Gefühle. Die setzen sich zum Beispiel gar nicht selten in einer Dose Ravioli fest. Es muß die Kilodose sein. Die Gefühle verschwinden übrigens sofort, wenn man die Ravioli in einen Topf tut und warm macht. Sie müssen unbedingt kalt sein, nach Blech schmecken und mit einem Löffel, keinesfalls mit einer Gabel gegessen werden. Dann ist es für einige Menschen wieder da, das ganze Aromenspektrum des Jungseins.
    Einen hochintellektuellen Mann kannte ich, er war streng und unnachsichtig gegen jede Art geistiger Schlamperei, dazu geheimnisvoll und charmant. Er verfügte über eine Menge Bekannte und sehr wenige Freunde. Seine vielfältigen kulturellen Aktivitäten trieben ihn fast jeden Abend unter Menschen. Zufällig sah ich ihn einmal mittags in einer Kneipe, in
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