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Rund wie die Erde

Rund wie die Erde

Titel: Rund wie die Erde
Autoren: Eva Demski
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erhält seine letzte Würze durch jenes Tröpfchen Blut, das fließt, wenn wir mit den Fingerknöcheln über die Kartoffelreibe raspeln. Dafür gehört dieser gefährliche Knödel zu den wunderbarsten seines Genres. Wichtig ist die Reibe – es muß genau in jener mittleren Stärke gerieben werden, die die zarten Kartoffelspäne noch zwischen den Zähnen ahnen läßt. Kein Matsch, aber auch keine Stückchen, und zur Füllung ganz puritanisch nur leicht in Butter geröstete Graubrotwürfel.
    Das Innenleben der Knödel ist fast so wichtig wie die äußere Hülle. Glaubenskriege sind schon darum entstanden, die wollen wir ruhig ein wenig schüren. Aber bleiben wir noch bei der Härte, die in diesem Fall dem Genuß vorausgeht – auch der Schweiß spielt seine Rolle dabei, und wer je den schweren, mit Semmelstücken durchsetzten Teig für den klas
sischen böhmischen Mehlknödel gerührt hat, weiß, wovon ich rede. Und das Rühren muß sein, bis die Hände und der Teig Blasen werfen, denn nur dann entfaltet sich aus irdischer Schwere traumhafte Leichtigkeit. Wenn der Mehlknödel gelungen ist, ist er so empfindlich, daß er sich vor dem Messer fürchtet. Deshalb soll er mit einem weißen Zwirnsfaden in Scheiben geteilt werden. Ein Innenleben hat er nicht, denn er ist ganz Innenleben, Komposition aus Weißbrot, Mehl, Ei und Hefe, der meine Mutter noch ein wenig Sprudelwasser hinzuzufügen pflegte, obwohl das nicht orthodox ist – selbst das Ei wird von manchen böhmischen Puristen abgelehnt. Und die Tränen? Sie fließen, wenn alles umsonst war, der Knödel sich auflöst oder wie ein heimtückischer Stein dem Messer widersteht. Damit man nicht weinen muß, ist der Probeknödel zu empfehlen, den man als Vorhut ins leise simmernde Salzwasser gleiten läßt. Wenn der störrisch oder suppig wird, läßt sich noch was retten. Scylla und Charybdis der Knödelköchin (ich kenne nur große Knödelköchinnen, keinen einzigen Mann, der zur Erschaffung vollkommener Knödel geeignet wäre): der Matschknödel und der Steinknödel. Zwischen beidem gilt es, die jedem Knödel zugeordnete, einzig wahre Beschaffenheit zu erreichen. Die nachgiebige Festigkeit des gekochten Kartoffelknödels, die rauhe Schwere des Reiberknödels, die leichtsinnige Körnigkeit des Grießknödels. Über den Mehlknödel sprachen wir schon, und über die einzig wahre Konsistenz des Semmelknödels und des Leberknödels werden wir streiten. Fest muß er sein, wehrhaft, sich nicht gleich den zerstörerischen Attacken des Bestecks ergeben, sagen die einen. (Man benutze das Messer nur unterstützend, Knödel »reißt« man!) Weich und aufnahmebereit, ein Dienender, das sei der wahre Knödel, sagen die an
deren, und woran denken sie? An die Soße, natürlich, die in diesem Zusammenhang auf gar keinen Fall Sauce heißen darf.
    Ein wichtiges, vielleicht das wichtigste Kapitel: Der Knödel ersehnt die Soße wie der Erdball den Regen. Ihr muß er sich öffnen, er darf sie nicht abweisen wie ein verkarsteter Boden, er darf sie aber auch nicht bis zur Selbstverleugnung einsaugen und sich ihr ununterscheidbar vermählen.
    Eigentlich bildete der Knödel die ideale Speise für Vollwertköstler und Vegetarier, die es nicht verbissen sehen – wenn die Sache mit der Soße nicht wäre. Denn das weiß jeder, daß der Schweinsbraten und der Rehrücken in der Hauptsache Lieferanten einer ausgiebigen, würzigen und abrundenden Soße sind. Und ohne Fleisch geht nichts, sagt der Neffe, obwohl er nie welches ißt. Aber alles geht, wenn man sich in die Knödelkunde versenkt, und so gebe ich jenen, die auf dem Pfad vegetarischer Tugend schon weit geraten sind, den Rat, die böhmischen Mehlknödel mit einer Dill-Sahne-Gurkensoße zu versuchen. Und sehr Wohlhabende könnten den Semmelknödel (in seinen Teig muß ein Hauch feingewiegter glatter Petersilie) in einen tiefen, üppigen See von Steinpilzen in saurem Rahm versenken. Das ehemalige Armeleuteessen ist heute fünfmal so teuer wie Braten, geschieht uns recht. Und es schmeckt so überirdisch, daß wir die Kosten und das bißchen Cäsium auch noch schlucken. Der Semmelknödel ist des Neffen liebster Knödel, obgleich er immer wieder das mangelnde Innenleben beklagt. Und zur
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