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Schwarzer Valentinstag

Schwarzer Valentinstag

Titel: Schwarzer Valentinstag
Autoren: Günther Bentele
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D AS U RTEIL
     
     
     
    Ganz in der Frühe war zuerst nur ein Klappern auf der Gasse, ein hölzernes Klappern, das von den Wänden der Häuser widerhallte. Es war eine Aussätzige in einer schwarzen Kutte. In der einen Hand, die sie verdeckt hielt, hatte sie einen Holznapf, in der anderen die Klapper. An jeder Enge, an jeder Biegung klapperte sie mit dem Holzklöppel, der auf das Brett schlug. Am Eingang einer breiteren Gasse blieb die Aussätzige stehen. Vom Marktplatz herauf knallten die Tritte einer Wache. Vor einem Haus, das besonders hoch aufragte, standen die Soldaten still. Sie schlugen mit den Spießen gegen die Türe. Die Aussätzige reckte den Hals. Die Türe ging auf, ein schmächtiger, langer Junge trat heraus. Er mochte fünfzehn oder sechzehn Jahre alt sein und war gut gekleidet. Sein Gesicht war mager und bleich unter den schwarzen Haaren, seine Augen waren weit geöffnet. Die Soldaten umringten ihn wie einen Gefangenen, berührten ihn aber nicht. Dann marschierte der Trupp die Gasse hinauf durch ein wachsendes Gedränge zu dem dreieckigen Platz, auf dem die Gerichtstage der Stadt Stuttgart gehalten wurden.
    Von Spießen umringt ging der Junge wie in einem Käfig. Einen winzigen Augenblick stand über den Dächern am Ende der Gasse eine dunstige Höhe, die den Blick begrenzte.
    Heute war Gerichtstag. So war es gestern verkündet worden. Der Junge ging mit gesenktem Kopf.
    Das Gedränge und Geschiebe der Menge wuchs. Die Schergen bahnten sich unerbittlich den Weg und öffneten dem Jungen das letzte Wegstück durch eine johlende Masse von Menschen mit den Schäften ihrer Spieße. Ein gleichaltriger Junge spuckte ihn an.
    Er wurde vor die ernst blickenden Richter gestellt.
    Ein Mann mit glatt rasiertem Gesicht, in roter und schwarzer Kleidung, stellte sich auf, die Beine gespreizt, die Arme verschränkt, zwei Knechte rechts und links. Die Zuschauer stießen sich an und wichen zurück: »Der Henker!«
    Das Gemurmel schwoll an. Ein Mann wurde hereingeführt mit verwildertem Bart, die Haare ungekämmt; sein Hemd, dem man seine gute Herkunft ansah, war schmutzig, die Ärmel zerfetzt, seinen Umhang hielt er frierend zusammen. Er war nicht gefesselt.
    Der Stabhalter trat ein, den weißen Stab aufrecht in der Hand. Die Richter erhoben sich. Feierlich wurde die Wahrheit gesprochen über Johann Heinrich Christoph Schimmelfeldt, Gewürzkaufmann in der Stadt Stuttgart. Die Wahrheit stand längst fest an diesem trüben Morgen des Jahres 1347: Seine Gewichte waren überprüft worden vom Waagemeister der Stadt, der hatte sie für falsch befunden. Der Übeltäter habe lange geleugnet, wie der Stabhalter mit lauter Stimme sagte, habe aber schließlich für das Heil seiner Seele und zur Ehre Gottes doch gestanden. Das Geständnis stand fest, der Mann musste es langsam wiederholen.
    Er sprach sehr leise, aus der Menge rief einer: »Lauter!«
    Und das Urteil stand fest.
    Laut wurde es vom Stabhalter verkündet: »Der Johann Heinrich Christoph Schimmelfeldt, Gewürzkaufmann in Stuttgart, wird mit dem Schwert vom Leben zum Tode gebracht.«
    Der Junge schaute zitternd zu dem Mann, der unbeweglich stand, aber gebeugt wie unter einer fürchterlichen Last. Ein scharfes Knacken: Der Stab war gebrochen.
    Da herrschte eine der Gerichtspersonen den Jungen an: »Vortreten!«
    Dann war da der schwarz und rot gekleidete Mann, der mit einem plötzlichen Schritt wuchtig auf die beiden zutrat und ihnen die Hände auf die Schulter legte und da liegen ließ.
    »Der weint ja.«
    Sie standen lange, die Hand des Henkers auf der Schulter.
    Wie eine Mauer standen die Bürger, Unruhe verbreitete sich. Wann sollte das Urteil vollstreckt werden? Was geschah mit dem Sohn? Von dem hatte der Henker auch Besitz ergriffen. Würde man gar eine Doppelhinrichtung zu sehen bekommen? Das hatte es schon lange nicht mehr gegeben. Und heute noch? Worauf wartete man? – Wolken zogen auf, bald würde es regnen.
    »Gewichte fälschen, damit man um sein gutes Geld betrogen wird. Das geschieht denen gerade recht.«
    »Das prächtigste Haus in der Stadt!«
    »Aber Gott hat sie schon lange bestraft.«
    »Ja, die Frau gestorben vor zwei Jahren, dann nacheinander der älteste Sohn und die kleine Tochter. Jetzt also das schreckliche Ende. Gottes Mühlen mahlen langsam, aber sicher.« Der Mann bekreuzigte sich.
    »Wie auch immer, das Söhnlein ist jedenfalls auch unehrlich gemacht. Dem darf keiner mehr die Hand geben.«
    Die Richter wirkten unsicher wie sie da
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