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Rund wie die Erde

Rund wie die Erde

Titel: Rund wie die Erde
Autoren: Eva Demski
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man denn so fett sein«. Von der zweiten Kategorie sind leider nicht viele da. Aber was wissen wir schon voneinander? An jeder Figur, die da sitzt, sind Teile, die sie loszuwerden wünscht. Wie hat man sich das vorzustellen, das Unerwünschte? Ich könnte mir eine Art starre,
weiße Fladen vorstellen, die abplatzen wie Kerzenwachs. Das wäre eine angenehme Möglichkeit. Andererseits könnte es sich auch um etwas Feuchtes, Zuckendes, Rotes handeln, das geboren zu werden wünscht. Wie unterscheidet sich das Unerwünschte vom Gewünschten, vom Notwendigen oder gar vom Begehrten? Mir ist, als ich noch ein Fräulein war, oft aufgefallen, daß, was den einen schaudern ließ, den nächsten, oder meinetwegen den übernächsten, entzückte. Dennoch muß von etwas geschieden sein und manche scheuen weder Stahl noch Strahl.
    Ich dagegen esse nur auf königliche Weise nichts. Gerüche aller Art werden unangenehm, außer dem von frischem Leberkäs. A propos Gerüche: Heute, am Nachmittag des ersten Tages, während meines ersten kleinen Kaufrauschs, dem noch einige folgen werden, betrat ein Landstreicher im vollen Wichs die Parfumerie, in der ich grade war. Er fuchtelte, stieß zahnlos viele Worte aus und plinkerte mit den Augen. Was wollte er? Ein Duftpröbchen. Er hatte vielleicht was vor, und die Verkäuferin, eine wirkliche Dame, gab ihm welche.
    Wenn du nicht saufen tätest, würdest du von allein besser riechen, sagte sie freundlich, aber fest.
    Der Wanderer brabbelte begeistert.
    Mein Bruder, sagte sie, ist dran gestorben.
    Das mochte der Mann nicht hören und ging. Fast hätte ich vor Begeisterung noch Weihnachtskrempel gekauft, aber ich habe mich zurückgehalten. Man soll nicht übertreiben.
    Der Arzt, den ich danach aufsuche, ist sehr schön. Er begrüßt mich samt jenem Teil, den ich schon öfter hier zurückgelassen habe, höflich und spricht viel von Innerlichkeit und Gleichmaß.
    Abends denke ich an den Kollegen Gernhardt und schrei
be ein paar Paulusbriefe. Gernhardt ist ein großes Genie in Sachen Paulusbriefe und hat mich angesteckt:
    Â 
    Paulus schrieb an fette Damen –
    Ihr fallt bezaubernd aus dem Rahmen!
    und
    Den Molligen schrieb Paulus gnädig:
    Von euch bleibt selten eine ledig!
    oder
    Paulus schrieb an seine Dicken:
    Was reimt sich
    Darauf müßt ihr blicken!
    Schluß jetzt.
    Â 
    Dienstag
    Â 
    Diese Sonnenaufgänge! Wozu etwas essen, wenn ich in der Früh um sieben beim Blick über den Kräusel des Sees hinweg eine Sehnsucht nach Elfenhaftigkeit erdulden muß? Tausenddreihundert meiner Gramm haben sich bereit erklärt, zurückzubleiben und nicht länger stören zu wollen, fürs erste. Das kennt man. Die ersten Abschiede sind einfach, es rieselt und pieselt nur so fort. Man soll sich dessen nicht freuen, oder doch, trotz des Wissens, das ist nur vorläufig. Wenigstens ist es vorläufig! Abends sitzen wir im Foyer und nippen an fader Brühe und süßem Saft. Ein Pianist, kaugummikauend und von stämmiger Gestalt, spielt uns Damen übers gepolsterte, aber ungeschützte Rückgrat hinunter: I did it my way . Vor ihm auf dem Klavier steht ein Glas Saft. Er scheint sowas noch nie gesehen zu haben.
    Es gibt einen Ägypterinnen-Tisch und einen Mittleres-Ma
nagement-Tisch und einen Versicherten-Tisch und einen Kicher-Tisch. Keinen Guten-Russen-Tisch, ach. Kann ja noch kommen.
    Eine von den Ägypterinnen schwamm heute neben mir. Sie machte drei Bahnen lang Prrrr-ffüt-schschsch, Prrrr-ffüt- schschsch, um ein Haar hätte ich sie ersäuft. Fasten macht sehr sensibel. Die köstlichen Abende mit Kräutertee, Seifenopern im TV , Strickzeug und der zärtlichen Lektüre von Kochrezepten entschädigen für alles. So sollte man immer leben. So überschaubar.
    Â 
    Mittwoch, Buß- und Bettag
    Â 
    Das hat mich fast melancholisch werden lassen: Zum zweiten Mal in meinem Leben bin ich Zeugin beim Hinscheiden eines Feiertags. Erst wurde der siebzehnte Juni einem zweifelhaften Oktobertag geopfert, und jetzt ereilt das Schicksal diesen ehrwürdigen Tag, der seit Menschengedenken den November so hübsch geteilt hatte.
    Indessen haben sich weitere Gramme von mir in einen unbekannten Hinterhalt verzogen. Ihre Hüllen aber bleiben wie kleine Larven in mir zurück und lauern auf Nahrung, die ja, da sind sie zuversichtlich, irgendwann wiederkommen wird. Warum
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