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Rund wie die Erde

Rund wie die Erde

Titel: Rund wie die Erde
Autoren: Eva Demski
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jeden Fremden unerträglich ist.
    Die Bewohner dieser wüsten Tafel müssen ihre leise, örtlich betäubte Scham mit viel Wein wegspülen, manchmal singen sie trotzig oder erzählen einander blöde Geschichten. Es ist doch klar, daß all dies nur mit wirklich guten, verläßlichen und erprobten Freundinnen und Freunden durchge
standen werden kann. Auch das Schweigen am Tag danach, das doppeltkohlensaure Natron und die stummen Gelübde, die Bußfertigkeit und die innere Einkehr gehören dazu. Am Tag nach solchen Exzessen wird geschwiegen, am nächsten Tag mit den anderen telefoniert. Einen Monat später überlegt man sich den nächsten Termin, wohl wissend, daß jenes einst unschuldigste aller Vergnügen im Lauf der wohlhabender gewordenen Zeiten ganz schlechte gesellschaftliche Karten hat. Das ungehemmte Fressen gilt als ordinär, zuchtlos, unanständig, abstoßend – ach. Wir finden das ja alle selber und sind dankbar wie die Kinder, wenn wenigstens die Literatur uns die Tische überlädt, wir lassen uns von Grass unbekömmliche Speisen servieren und lesen uns an der legendären jütländischen Kaffeetafel von Siegfried Lenz satt und voll. Auch im Kino bekommen wir die Völlerei von Zeit zu Zeit erlaubt, es ist nicht zu klären, ob die Wörter, die den Duft nach Gebackenem, Geräuchertem und Speckigem auszuströmen in der Lage sind, den inneren unstillbaren Hunger nachhaltiger besänftigen als die Filmbilder, farbig und duftlos. Ich gebe natürlich der Literatur den Vorzug, denn die Kinobraten sind aus Plastik, man sieht es doch irgendwie, statt Fett läuft den Stars Glyzerin über die Backen, das Obst ist so trügerisch wie die Torten. Nur den Wörtern ist zu trauen, wenn schon auf die realen Schüsseln verzichtet werden muß.
    Worin besteht das Vergnügen am Junk food, das ja sogar Modeschöpfer, Ballettänzer und Dreisterneköche nicht leugnen? Es liegt auf der Hand: Junk food ist das Zitat des Großen Essens, ein Pars pro toto, eine unauffällige Erinnerung an Schlachtfeste und Leichenschmäuse. Niemand würde es wagen, in einem normalen bürgerlichen Restaurant nach zweierlei fetten Saucen zu verlangen, die dann großzügig auf dem
Kotelett oder dem Putenschnitzel verteilt werden. An der Imbißbude stört das keinen, weiß und rot, bitte, und noch einen ordentlichen Schlag auf die Rindswurst.
    Bei den Würsten landen wir immer, wenn wir uns sehnsüchtig an ein Früher zu erinnern suchen, wo die Kargheit und der Überfluß noch beide auf der Lebensschaukel saßen. Die Würste sind übriggeblieben von Schlachtzeit und Erntedank, aber das ihnen innewohnende Gruseln heißt heute Sorbinsäure, Lebensmittelgesetz und Cholesterin. Oder? Die Schnelligkeit, mit der man sie verschluckt, kann schlechtes Gewissen ebenso bedeuten wie Kindergier.
    Mittags im Frankfurter Osten stehen lange Schlangen vor der allerbesten Wurstküche der Region – was sage ich, Europas! Ein warmer, heimatlicher und gar nicht barbarischer Duft dringt aus dem überfüllten Laden, zwischen feinen und groben Fingern steckt die saftige, rote Rindswurst und tröstet Hoch und Niedrig. Hoch über die Langeweile und Niedrig über die Arbeit.
    De Gaulle hat einmal kokett darüber gejammert, daß ein Land mit so vielen Käsesorten eigentlich unregierbar sei. Wer sich an den General erinnert, hatte zwar eher das Gefühl, er habe sich für den Erfinder jeder einzelnen französischen Käsesorte gehalten, aber wie auch immer: Was ist denn mit unseren Tausenden von Wurstsorten?
    Unzählige Würste, als Zitat für Völlerei, als wohlfeile und fast folgenlose Möglichkeit, sie zu simulieren, bleiben sowieso. Die dünnen, zweimal geknickten Thüringer, weihnachtsmarktduftend, ein allzeit verfügbarer Trost über die deutsche Einheit, die Frankfurter, die dicken Regensburger Knubbel, all die scharfen Dinger aus dem Osten, paprikarot und tückisch. Blut und Leber und alles Innere und Schreckliche wird
wundersam verwandelt, die Leber zum Schluß nur noch eine Ahnung, eine Erinnerung und die sanfte, graue Farbe, von der kein Mensch weiß, wie sie entsteht.
    Grass füllt einen Hammelkopf mit Würsten, das geht natürlich ein bißchen weit, aber die Vogelsberger Kartoffelwurst beweist, daß es stimmt: Wurst dürfen auch Vegetarier essen. Sie hat mit Mord nichts mehr
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