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Purpurschatten

Purpurschatten

Titel: Purpurschatten
Autoren: Philipp Vandenberg
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K APITEL 1
    Brodka liebte Farben, schließlich lebte er davon. Doch auf unerklärliche Weise empfand er eine tiefe Abneigung gegen Purpur in all seinen Schattierungen, ja, er haßte diese Farbe sogar, wie man ein Empfinden nur hassen kann. Wann immer möglich, mied er sie. Ließen sich das verdammte Purpur, Lila oder Violett nicht vermeiden, setzte er all seine Kunst ein, um diese scheußlichen, dekadenten Farben zu verfremden oder zu verfälschen.
    Alexander Brodka, ein gutaussehender Vierziger mit kurzgeschnittenem dunklem Haar, war Bildreporter und Fotograf für Hochglanzmagazine und seit zwanzig Jahren in der ganzen Welt zu Hause. In all den Jahren hatte er es vortrefflich verstanden, seine Abneigung gegen Purpur zu verbergen, weil er fürchtete, kluge Leute könnten irgendwelche Schlüsse daraus ziehen. Er selbst wußte keine Erklärung für seinen Ekel dieser Farbe gegenüber, wenngleich er sich mehr als einmal Gedanken darüber gemacht hatte. Brodka hatte sich zu der Ansicht durchgerungen, daß Farben nun einmal eine unterschiedliche Wirkung auf Menschen ausübten, und daß es den meisten nicht einmal bewußt war.
    Diese Gedanken gingen ihm auch jetzt wieder durch den Kopf, als er die Strandszene durch den Sucher seiner Kamera betrachtete: Irina, mit gespreizten Beinen nackt auf einem Motorroller, im weißen Sand von Marco Island, dahinter Palmen und die endlose Skyline der Strandhotels.
    »Mußte der Scooter unbedingt lila sein?« murrte Brodka, während er in den Lichtschacht seiner Hasselblad blinzelte.
    Florentina, die rothaarige Stylistin und Requisiteurin, kurz Flo genannt – alles andere als eine Schönheit und bei Fotoshootings Mädchen für alles –, erwiderte giftig: »Du wolltest doch eine dunkle Farbe als Kontrast zum hellen Sand. Aber bitte, wenn lila dir nicht gefällt, besorge ich einen Roller in grün oder rot oder …«
    »Um Himmels willen«, unterbrach Brodka, »das kostet nur Zeit. Dann steht die Sonne zu hoch, und die Hitze wird unerträglich. Benni, mehr Licht von unten, und näher ran!«
    Kameraassistent Benni, ein hagerer, hoch aufgeschossener junger Bursche von zwanzig Jahren mit langem, strähnigem Haar, kniete mit einem runden, silberfarbigen Plastiksegel im Sand und spiegelte das von hinten einfallende Sonnenlicht auf den nackten Körper des Mädchens auf dem Motorroller.
    Irina übte sich in bewundernswerter Geduld und warf auf Kommando ein ums andere Mal den Kopf in den Nacken. Sie stammte aus St. Petersburg und war Lehrerin, hatte aber keine Anstellung gefunden und verdiente seither ihren Lebensunterhalt als Fotomodell. Eine Bildserie im Magazin ›Flot‹ hatte Irina im Westen bekannt gemacht.
    Obwohl das Motiv geeignet war, die sexuelle Lust des Betrachters zu erregen – und zu nichts anderem war es gedacht –, war die Arbeit alles andere als lustvoll.
    Flo fingerte unentwegt Eiswürfel aus einer Plastikbox und rieb damit über Irinas Brustwarzen, die sich daraufhin für eine, zwei Minuten aufstellten und das Aussehen zweier rosafarbener, feuchter Süßwasserperlen annahmen. Bei einem neuerlichen Blick durch den Sucher störte Brodka eine Bauchfalte Irinas, die auf ihre sitzende Haltung zurückzuführen war. Flo beseitigte den Makel, indem sie, für die Kamera unsichtbar, einen zwei Finger breiten Streifen Klebeband von Irinas rechter Taille bis zu den hinteren Rippen spannte, die Haut nach hinten zog und den Klebestreifen fest anpreßte. In dieser Haltung wurde es jedoch unmöglich für Irina, den Kopf in den Nacken zu werfen. Der Klebestreifen schmerzte, und das Mädchen verzog das Gesicht.
    »Ich brauche mehr Bewegung in Irinas Haar«, rief Brodka schließlich und drückte Benni die Kamera in die Hand.
    Flo verstand, was Brodka meinte, und dachte nach. »Der Scooter-Vermieter verleiht auch Airboats, diese flachen Boote mit dem riesigen Propeller am Heck. Die machen ganz schön Wind. Ich könnte eines hierher bringen lassen.«
    »Gute Idee«, erwiderte Brodka, und kopfschüttelnd fügte er hinzu: »Flo, du bist wirklich unbezahlbar!«
    »Dann könnte ich auch den lila Scooter umtauschen.«
    Brodka nickte.
    »Und welche Farbe hätten Sie gern, Maestro?«
    »Egal. Hauptsache kein lila.«
    Flo half Irina vom Roller und befreite sie von dem Klebestreifen, was der jungen Russin beinahe noch mehr Schmerzen bereitete als der Streifen selbst; dann warf sie ihr ein weißes T-Shirt zum Überziehen zu.
    »Es ist deine Zeit, Brodka!« rief Florentina schnippisch, während sie
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