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Rund wie die Erde

Rund wie die Erde

Titel: Rund wie die Erde
Autoren: Eva Demski
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Plätzchen
    Ein unschuldsvolles Schätzchen –
    Doch wenn er in den Ouzo steigt
    Und dir sein wahres Wesen zeigt –
    Dann lernst du schnell, was dran is
    Am Anis.

Zwiefache Speise
    Nannte es damals irgendein besserwisserisches Familienmitglied ein »geschmackloses Buch«? Ich konnte das Wort nicht verstehen, verband sich doch mit ebendiesem Buch der Geschmack nach amerikanischem Vanilleeiscremepulver. Das war ein wunderbarer gelber Staub, Grundstoff zu einem imaginären, weil eben amerikanischen Eis. So weit ließen wir es in unserem Land nicht kommen. Ich jedenfalls aß es immer schon vor seiner Verwandlung auf und machte, während ich las und langsam aus einer braunen Tüte ohne Aufschrift löffelte, einen sanften, paradiesisch schmeckenden Schaum im Mund. Das Buch dazu hieß Der kleine Lord. Ohne das Eiscremepulver wüßte ich nichts mehr davon, die darin genüßlich ausgebreiteten Beschreibungen der Schönheiten des Feudalismus und der süßwürzige Schaum im Mund verbanden sich untrennbar. Bei dieser ersten Erfahrung mit der Buchstäblichkeit des Begriffs »verschlingen« war ich ganz allein. Ich blieb es nicht: Meine Busenfreundin Christa gestand mir voll Entzücken die Verbindung von Pflaumenmusbroten, Milch und Pucki im Försterhaus. Was werdet ihr fett! sagte erbarmungslos ihr älterer Bruder Peter. Dabei lasen wir nur viel. Manche Bücher ließen uns darben. Die etwas ahnungslose Empfehlung meines Vaters, endlich mal was Anständiges, etwa Schiller, anstatt der nicht enden wollenden Fünf Freunde zu lesen, führte zu langen Nachmittagen auf der Mülltonne, Kabale und Liebe (was ich sofort entschieden spannender als die Fünf Freunde fand, wäre nur der Autor etwas weniger umständlich vorgegangen) und dem langsamen, nachdenk
lichen Genuß von Klaräpfeln, was der Figur nicht so abträglich (es müßte hier eigentlich zuträglich heißen) war wie Joseph Conrad, der zu Speckbroten mit Senf führte. Essen und Lesen zusammen lehnten merkwürdigerweise nur jene Leute ab, die sowieso Schutzhüllen um die Bücher taten. Die gleichen Leute benutzen auch eine Art Kofferpariser, man sieht das oft auf Bahnhöfen.
    Diese Menschen behaupten also, daß man beim Lesen nicht essen soll und beim Essen nicht lesen. Ein fundamentaler Irrtum, in die Welt gesetzt von Pietisten, die den Lüsten mißtrauen und gar der Verbindung zweier Urlüste, die gemeinsam zur fast allergrößten Lust werden. Natürlich ist nicht pausen- und hemmungsloses Hineinstopfen gemeint – höchstens als Ausnahme, wenn der Text die Völlerei erzwingt. Vieles will überlegt sein, manches ergibt sich von allein, und wie arm ist der dran, der nachts an eine Rabelais-Stelle kommt und nur noch Tütensuppe und Diätcola im Hause hat. Mein Freund F. ist deswegen mehr als einmal in die düsteren Bahnhofsgegenden gefahren, wo die Garküchen noch geöffnet haben und Öldunst, Curryduft und Fleischkrustengeruch die lebensnotwendige Ergänzung zu einem Text von Grass oder García Marquez bildeten. Während ihm da das Fett über die Backen lief, erzählte er mir, habe er schon ungeduldig auf den Moment geharrt, wo er – gesättigt und in aller Ruhe – die Beschreibung des Frühstücks in Wolfes (ich meine den wirklichen Thomas Wolfe) Schau heimwärts, Engel noch einmal lesen würde. Aber nicht nur das beschriebene Essen will die Ergänzung im Leserleben – auch Texte, in denen es um ganz anderes geht, verlangen die orale Begleitung, den Trost oder die Unterstreichung.
    Und das Flüssige – im Text und im Leben? Als ich sechzehn
war, betrat ich zum erstenmal jenes moderwinklige Rattenhäuschen des VauO Stomps seligen Andenkens, Sanssouris in Stierstadt. Ich war sechzehn, und ich war ein Mädchen, beides interessierte den Urliteraten gar nicht, leider. Ich bestach mit Schnaps (wenn du schon was mitbringst, das nächste Mal Wodka) und wurde fürderhin gelegentlich geduldet. Betäubt sah ich die grünbraunweißen Flaschenwälder, die zum Lesen und zum Schreiben gehörten, sie tranken, wenn sie einander vorlasen, sie tranken, wenn sie lasen, sie tranken, während sie Büroklammern und Brotscheiben in eine neue Druckerpresse legten, um zu sehen, was die denn damit drucke. Sie druckte daraufhin gar nichts mehr, und daß der Schnaps zum Lesen gehörte,
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