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Rund wie die Erde

Rund wie die Erde

Titel: Rund wie die Erde
Autoren: Eva Demski
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die er überhaupt nicht hineinpaßte. Man schien ihn dort aber zu kennen. Er saß vor einem dreigeteilten Teller, wie es sie in einfachen Wirtshäusern gibt. Den Braten hatte er beiseite gelegt und zermatschte sorgfältig die verbleibende Soße mit den Salzkartoffeln. Den so entstandenen bräunlichen Brei aß er mit einem Kaffeelöffel. Dabei sah er glücklich aus.
    Als er meiner ansichtig wurde, sagte er ohne erkennbare Verlegenheit, damit tröste er sich über die Hartherzigkeit und Gefühlskälte seiner Mutter hinweg. Während ich noch nachdachte, ob das eine seiner exzentrischen Attitüden war, sagte er: Essenmanschen ist besser als jede Therapie! Außerdem ist sie jetzt auch noch gestorben, meine Mutter.
    Er bekam nasse Augen, und an seinem Kinn klebte ein wenig von der trostreichen braunen Pampe.
    In den Jahren, die ihm noch blieben – es waren nicht mehr viele –, sah ich ihn nie mehr anders als mit einem imaginären Breifleck am Kinn.
    Wenn Kinder einsam sind, tun sie sich gern mit anderen einsamen Kindern zusammen und machen sich in der verwaisten Küche was zu essen. Das müssen nicht immer Miracoli sein, Karamellbonbons sind auch gut. Man nimmt eine Pfanne. Erst läßt man Butter zerfließen, dann Zucker drin zerlaufen, und dann muß das Ganze hart werden, damit man es aus der Pfanne wieder rauskriegt. Danach ist die ganze Küche eingesaut. Das Zeug sieht wie braune Glasscherben aus, und der Geschmack nach Butter und karamellisiertem Zucker geht einem nie mehr aus dem Sinn.
    Wie das damals klebte! Überall hat es geklebt, Herd und Wände, Finger und Münder klebten, und es gab Ärger, nicht nur wegen der Verschwendung von Butter und Zucker und des Zustands der Küche, sondern auch wegen der zu erwartenden Zahnschäden. Dreißig Jahre später bestellen die einsamen Kinder von einst im Restaurant Crème Caramel, und ab dem ersten Löffel erscheint in ihrem Gesicht ein ganz besonderes Lächeln.
    Ein anderes braunes Zeug taugt erstaunlicherweise ebenso gut als Seelenspeise: Maggi. Eine Frau hielt sich jahrzehntelang schlank, schön und glücklich mit einem Brei, bei dessen Anblick allein jedem normalen Menschen schlecht wurde. Er bestand aus rohen Haferflocken und Maggi und war ihr Hauptnahrungsmittel. Natürlich verlangte es das Alltagsleben, daß sie so tat, als ernähre sie sich wie andere Leute auch. Sie entwickelte eine große Anzahl von Ich-tu-so-als-ob-ich-
esse-Strategien. Man kennt das von Anorektikerinnen, dieses Hin- und Hergeschubse von Essen auf dem Teller, Ablenkung durch Gespräche, eine durchdachte Choreographie der Verweigerung. Am Anfang machte sie das, später nicht mehr. Sie stand zu ihrer Mono-Ernährung. Die hielt sie übrigens bis ins hohe Alter körperlich gesund, und so dement sie dann auch war, vergaß sie doch nie, was sie gern aß und verlangte energisch danach.
    Ein Sternekoch gestand mir im Suff, er liebe Maggi über alles. Alle seine gerühmten Schäume und Jus hätte er offenbar gern für die braune Soße weggeschüttet, deren Verwendung in der Küche niemals zugegeben werden darf. Das gilt nicht nur für die feine, das gilt für jede Küche. Maggi ist die Bildzeitung der Kulinarik. Keiner benutzt es, aber jeder weiß, wie es schmeckt. Und bei manchen ist die Liebstöckelbrühe eine lebenslange Liebe bis hin zur Sucht. Es soll Männer geben, die glücklich darüber sind, daß man sie wegen ihrer verstohlenen Schlucke aus silbernen Taschenflaschen für Alkoholiker hält. Solange die Welt denkt, sie führten sich heimlich Whisky oder Cognac zu, ist alles in Ordnung. Nicht auszudenken, wenn herauskäme, daß es in Wahrheit Maggi ist, von dem sie nicht lassen können! Eine Fahne haben auch diese Süchtigen, nur riechen sie statt nach Schnaps nach Tütensuppe.
    Professor W. von der Universität in M. war Germanist, Spezialgebiet Märchenforschung. Seine Seminare waren langweilig, aber beliebt, und man kam bei ihm leicht an Scheine. Wie in alten Zeiten lud er gelegentlich Studenten zu sich nach Hause ein, und die Legenden über die Märklineisenbahn auf seinem Schreibtisch verbreiteten sich rasch. Jedes Erstsemester wurde über den märchenhaften Miniaturzug belehrt und
setzte alles dran, ihn selber zu Gesicht zu bekommen. Und tatsächlich: Ein Schienenoval bedeckte den professoralen Schreibtisch und ein
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