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Sartre

Sartre

Titel: Sartre
Autoren: Heiner Hastedt
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[7]
1. Sartre, das »Ungeheuer«: Intellektueller, Grenzgänger und Philosoph der Freiheit
    Jean-Paul Sartre (1905–1980) ist ein Philosoph der Freiheit – nicht der politischen oder gar der ökonomischen, sondern einer Freiheit gegenüber dem Schicksal, dem eigenen Herkommen, den Determinationen der Gesellschaft und gegenüber Gott. Geradezu süchtig hat Sartre seine Philosophie in fast jedem Genre der Literatur und Publizistik zur Geltung gebracht. Er ist ein Intellektueller, der inhaltliche Grenzen überspringt und frei mit Stilgattungen umgeht. So schafft er es wie kaum ein anderer vor und nach ihm, zugleich mit Dramen, Drehbüchern, Romanen, Tagebüchern, Briefen, Pamphleten, Zeitungsartikeln und philosophischen Abhandlungen zu brillieren. Sartre schreibt eigentlich immer, jedenfalls bis zu den autobiografischen
Wörtern
1964 bzw. bis zu seiner teilweisen Erblindung im Jahr 1973.
    Freiheit bildet den sachlichen Kristallisationskern seiner intellektuellen Grenzgängerei. Eine solche Figur ist nicht jedem geheuer. So schreibt Bernard-Henri Lévy: »Vielleicht ist Sartre eine Art Ungeheuer. Vielleicht bedurfte es einer gewissen Ungeheuerlichkeit, um Sartre zu sein – um jener bizarre, einzigartige, sich über alle Regeln der Gemeinschaft hinwegsetzende, ein wenig verrückte Denker zu sein […]. Vielleicht war dies eine kompliziertere, schmerzhaftere und gefährlichere Existenzweise als etwa die des weisen Aron, der friedlich in seinem Büro des
Figaro
vor sich hin dachte, oder als die des Professors Merleau-Ponty, der zu fester Stunde die Rue des Ecoles entlangkam, oder auch als die des guten Camus, der rasch sein Tagewerk als Schriftsteller hinter sich brachte, um im Stadion von Lourmarin ein Fußballmatch auszutragen. In jedem Fall hat die Geschichte der Philosophie nicht allzu viele [8] Ungeheuer zu bieten. Und dieses hier hat nun einmal die Besonderheit, einer der radikalsten Denker der Freiheit zu sein.« 1
    Um Sartre im Verhältnis zu seinen Zeitgenossen in der französischen Philosophie zu verstehen, mag es hilfreich sein, den Intellektuellen Sartre als ungeheuerliche Ausnahmeerscheinung zu deuten. Er wirkt anders als beispielsweise Albert Camus (1913–1960) auf den ersten Blick nicht besonders sympathisch. Ruft dieser kleine, hässliche Mann, der bei Frauen so erfolgreich ist und in der intellektuellen Welt mit einer geradezu abenteuerlichen Produktivität gesegnet ist, womöglich Neidgefühle hervor? Neben dem Ungeheuerlichen und dem Unsympathischen gibt es zugleich immer das Faszinierende an Sartre. Doch hat dies vielleicht mehr mit Simone de Beauvoir (1908–1986) und der ungewöhnlichen Beziehung der beiden zu tun? Oder mit ihrem Leben in Paris? Vieles an Sartre ist merkwürdig, sowohl an seinem Denken als auch an seinem Handeln. Wer ihm wohlgesonnen ist, wird bereit sein, das Merkwürdige zu übersehen oder nicht negativ zu werten. Ohne dieses Wohlwollen ist es aber nicht schwer, Sartre zu verdammen. Verdammung oder Verehrung wird ihm vermutlich ohnehin eher gerecht als ein achselzuckendes Ignorieren. Das Skandalöse an Sartre gehört zum Verständnis dieses Autors dazu; das Zeug zum unkontroversen Klassiker hat er jedenfalls auch heute noch nicht.
    Ist Sartre überhaupt noch aktuell? Oder wird er gerade vergessen oder philosophisch ohnehin nicht ernst genommen? Ist er nur noch ein Philosoph für Pubertierende und Spätpubertierende, der höchstens durch seinen Lebensstil als oberflächlich attraktiv gelten mag, aber nicht durch seine philosophischen Fähigkeiten? Camus hat nach der Wende 1989 in Osteuropa eine späte Renaissance der Aufmerksamkeit erfahren, insbesondere weil er in den fünfziger Jahren einsam den Menschenrechten treu geblieben ist und einer nicht nur unter französischen Intellektuellen verbreiteten Verehrung oder zumindest Verharmlosung des Stalinismus widerstand. Für Sartre – [9] schon damals im Konflikt mit Camus – galt das nicht. Neben seinem Bekenntnis zum Stalinismus wirken seine naive Kuba-Begeisterung und seine Unterschrift unter viele abstruse Flugblätter und Aufrufe aus heutiger Sicht peinlich. Das Recht zu einer Entdeckung Sartres – sei es als Wiederentdeckung oder als Neuentdeckung – dürfte somit kaum im Bereich des Politischen zu suchen sein. Gleichwohl gibt es im Werk dieses Freiheitsphilosophen mehr zu entdecken, als seine Verächter meinen.
    Vielleicht ist jetzt, ein Jahrhundert nach der Geburt Sartres und ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod, die
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