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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ist in den besten Händen. Wir können hier warten.«
    Sie saßen in einer Ausbuchtung des Ganges vor einem großen Fenster, das hinabsah auf die Ruhr. Korbsessel standen um kleine Tische, Blumen zierten die Fensterbank. Ein zwangloser Warteraum, nicht abgeschlossen, sondern mitten im Klinikbetrieb liegend.
    Im Untersuchungszimmer wurde Gundula auf eine lederne Chaise gelegt, auf der eine Gummiunterlage ausgebreitet war. Dr. Linden betrachtete das kleine Wesen und registrierte die Reaktionen des Kindes auf die neue, ungewohnte Umwelt. Gundula zeigte keinerlei Angst oder Scheu … sie spielte mit einem Taschentuch, das ihr der Oberarzt in die Fingerchen gegeben hatte, und sie gab auch keinen Laut von sich, als man sie auf die krummen Beinchen stellte und sie kraftlos immer wieder einknickte. Die großen blauen Augen blickten freundlich, aber ausdruckslos umher, der kleine Mund verzog sich zu einem Lächeln, völlig unmotiviert, als man sie hinsetzte und sie wie eine Puppe auf den Rücken fiel.
    »Eigentlich brauchen wir gar nicht weiterzumachen«, sagte Dr. Linden. »Doch dem Pfarrer zuliebe, Kollege, gehen wir die ganze Skala durch.«
    Nach knapp einer Stunde rollte eine Schwester den Kinderwagen wieder den Gang entlang zum Warteplatz. Susanne sprang auf und rannte ihm entgegen. »Gundi!« rief sie. »Mein Liebling! Hat es weh getan? Mein Süßes.« Sie beugte sich über das Kind. Gundula spielte wieder mit den farbigen Klötzchen. Sie schien sehr zufrieden zu sein. »Was sagt der Herr Doktor?« fragte Susanne und umklammerte den kunststoffüberzogenen Griff.
    »Ich weiß nicht.« Die Schwester lächelte höflich. »Ich sollte das Kind nur zu Ihnen bringen.«
    »Danke, Schwester«, sagte Susanne Kaul glücklich.
    Mein Liebling lacht, dachte sie. Sie haben ihm nichts getan. Gundi ist so zufrieden und glücklich. Sie hat bestimmt nicht eine Minute geweint.
    An diesem Tag erfuhr Susanne von Dr. Linden nur, daß sie vorerst nichts von der Untersuchung erzählen sollte. Pfarrer Merckel erfuhr dagegen mehr. Wie immer war die Diagnose Dr. Lindens kurz und klar:
    »Ein typisches Säuferkind«, sagte er. »Geistig verkümmert, körperlich zurückgeblieben durch eine Störung des innersekretorischen Haushaltes. Dieses Kind wird nie erwachsen werden, es bleibt immer auf der Stufe eines Kleinkindes.«
    »Also verblödet?« fragte Pfarrer Merckel leise.
    »Wenn Sie es so kraß ausdrücken – ja! Es wird zwar einmal laufen lernen, es wird auch seine Umwelt in beschränktem Maße aufnehmen, aber es wird immer bildungsunfähig bleiben.« Dr. Linden hob die Schultern. »Leider kein Einzelfall, Herr Pfarrer. Davon laufen Tausende herum. Alles Säuferkinder.«
    Pfarrer Merckel nickte schwer. »Ich danke Ihnen, Doktor«, sagte er stockend. »Jetzt wissen wir es genau … aber wie, wie soll ich das der unglücklichen Mutter weitersagen?«
    »Vorerst nicht.« Dr. Linden sah auf die Uhr. In fünfzehn Minuten sollte die Tumoroperation beginnen. »Bleiben Sie bei Ihrem Plan: Sprechen Sie zuerst mit dem Vater, diesem Peter Kaul. Und schonen Sie ihn nicht … kneten Sie ihn durch wie Brötchenteig. Ich möchte Ihnen wünschen, daß Sie Erfolg haben.«
    Es war der Freitagabend, den Pfarrer Merckel für eine Aussprache mit Peter Kaul ausgewählt hatte. Er hatte bewußt den Freitag genommen, er wollte ihn an dem Tag sprechen, an dem das Rätselhafte seines Wesens aufbrach mit der Pünktlichkeit einer elektronischen Einstellung.
    Peter Kaul hatte sich erst geweigert, als er die Einladung erhielt. »Was soll das?« hatte er geschrien. »Was soll ein Pfaffe dabei? Aber so ist es richtig … hinter meinem Rücken herumlaufen und alle Welt gegen mich aufhetzen! Himmel, was habe ich für eine Frau! Alle verraten mich! Alle!«
    Am Freitag, bei Schichtwechsel, standen zum erstenmal seit Wochen Petra und Heinz nicht neben der Pförtnerloge und warteten auf Vater und Lohntüte. Das war so ungewöhnlich, daß Peter Kaul sich verwirrt umblickte, unschlüssig stehenblieb und wartete. Sie haben bestimmt die Straßenbahn verpaßt, dachte er. Anders ist es nicht möglich. Warum sollten sie gerade an diesem Freitag nicht kommen?
    Er ging unruhig vor dem eisernen Fabriktor auf und ab, rauchte nervös zwei Zigaretten, wartete zwei Straßenbahnen ab und fand keine Erklärung für das Wegbleiben der Kinder. Susanne wird doch keine Dummheiten gemacht haben, dachte er. Sie wird doch nicht mit den Kindern …
    Er warf die Zigarette weg und spürte ein erstickendes
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