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Wir zwei sind Du und Ich

Wir zwei sind Du und Ich

Titel: Wir zwei sind Du und Ich
Autoren: Diana Raufelder
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Ist das Ben?
    Ricarda steht im Sound-In. Durch die riesigen Kopfhörer dringt diese tiefe Stimme mitten in sie hinein, an der sie sich niemals satthören kann. Wenn sie den Worten von Leonard Cohen lauscht, dann kommt es ihr vor, als singe er nur für sie. Die Musik zaubert ein Lächeln auf ihre Lippen und sie fühlt sich sicher – nicht mehr allein.
    Versunken in die Musik betrachtet Ri die anderen seltsamen Gestalten in diesem Laden. Die Rocker mit langen Haaren, die immer ein wenig unbeholfen aussehen, wenn sie in ihrer Kluft aus schweren Silberketten, Piercings und Lederjacke sorgsam und konzentriert die Plattenkästen durchforsten. Sie wirken wie Elefanten im Porzellanladen, findet Ri und muss grinsen.
    In der Ecke neben der Kasse tummeln sich die HipHop-Anhänger mit ihren tief sitzenden Hosen, Kappies und kunstvollen Bärten. Alles an ihnen muss cool sein. Jede Geste, jede Bewegung, jede Haarsträhne. Ätzend! In ihrer Klasse laufen alle so rum. Auch die Mädchen. Sie hören alle die gleiche Musik und gehen zu den immer gleichen Hiphop-Partys. Nur sie nicht. Warum auch? Wer will schon wie alle anderen sein?
    Verächtlich wendet sie ihren Blick ab und stutzt plötzlich: Da ist Ben! Einfach so. Er steht in der Ecke mit der Rockmusik und schaut sich ein Schallplattencover von HIM an. Ist er es wirklich? Ris Herz klopft wie verrückt. Unter der dicken Wollmütze und dem Schal wird ihr ganz heiß und sie fühlt, wie ihr die Röte ins Gesicht steigt. Das kann unmöglich sein! Ein stechender Schmerz durchzuckt sie, aber ihre braunen Augen starren wie gebannt auf den Jungen. Die gleichen schwarzen Haare – wild und ungezähmt. Das muss Ben sein! Oder ist es nur ein Junge, der ihm verdammt ähnlich sieht? Woher soll sie wissen, wie Ben jetzt aussieht?
    Während der Junge die „Razorblade Romance“ an der Kasse bezahlt, beschließt Ricarda ihm zu folgen. Sie zweifelt und doch sagt ihr eine innere Stimme: Das ist Ben.
    Durch das dichte Schneetreiben und zwischen den Weihnachtseinkäufern hindurch läuft sie ihm die Tauentzienstraße hinterher. Überall riecht es nach Glühwein und Lebkuchen. Menschen mit riesigen Einkaufstüten bepackt drängen von allen Seiten auf sie ein. Ri hat Mühe, ihn nicht aus den Augen zu verlieren.
    Die kurzen Tage vor Weihnachten sind für Ri irgendwie unheimlich und schön zugleich. Bereits am Nachmittag ist es schon so dunkel wie sonst nur am Abend. Nur die hell erleuchteten Schaufenster, die Scheinwerfer der Autos, die aufgehängte Weihnachtsbeleuchtung und das Weiß der dicken Schneeflocken bringen Licht über die Stadt. Der Schnee macht alles weich und leise.
    Von hinten sucht sie nach einem Erkennungszeichen, dass es wirklich Ben ist, dem sie gerade hinterherläuft. Ihrem besten Freund. Als er sich umblickt und die Tauentzienstraße Richtung Gedächtniskirche hochschaut, bevor er sie mit großen sicheren Schritten überquert und auf den U-Bahnhof Wittenbergplatz zusteuert, glaubt Ri in die gleichen eisblauen Augen geschaut zu haben, wie an jenem Februartag vor vielen Jahren, als Ben ihr zum ersten Mal begegnet war.
    Doch wo ist er hin? Laut hämmert Ris Puls. Macht sie atemlos. Verzweifelt schaut sie sich um. Menschen überall. Aber wo ist Ben? Ohne zu überlegen rennt sie die Treppe zum Bahnsteig der U3 hinunter. Dort sieht sie den Jungen mit den schwarzen, wilden Haaren am gegenüberliegenden Gleis in die U2 Richtung Pankow einsteigen. Die roten Warnlämpchen der U-Bahn blinken aufgeregt. „Zurückbleiben, bitte!“, tönt es aus den Lautsprechern. Sekunden später schließen sich die schweren, gelben Türen der U-Bahn. Der Zug setzt sich in Bewegung und fährt schwerfällig mitten in die Dunkelheit der unterirdischen Tunnel. Ri steht auf dem leeren Bahnsteig und schaut dem Ungetüm hinterher. „Wie gelbe Lindwürmer, die sich durch die Erde winden“, hatte Ben früher gesagt.
    Jetzt hat sie ihn verloren. Zum zweiten Mal in ihrem Leben.

Der Schwur
    Schon von der Straße aus sieht sie, dass in der Küche Licht brennt. Ihr wird ganz flau im Magen. Wie schön wäre es, wenn sie einmal nach Hause käme und niemand würde mit einem Sack voller Vorwürfe auf sie warten. Nur Stille und Dunkelheit würden sie empfangen und in ihre Arme schließen. Schweren Schrittes steigt sie Stufe für Stufe das alte, ächzende Treppenhaus empor. Es riecht nach vergangenen Zeiten und vergessenen Geschichten. Aus den dicken Wohnungstüren dringt gedämpftes Leben. Vorsichtig schließt sie die Tür zur
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