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Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis
Autoren: Tarek Siddiqui
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Die Stadt
1
    Der das hier schreibt, ist ein Gefangener, sitzt eingesperrt in einem Keller, nicht ohne sich zu wundern, und wehrt sich gegen die rechtwinklige Allgegenwart der Wände, indem er sie bemalt. Haller ist mein Name, nicht mehr ganz jung bin ich, aber auch nicht alt, und trage, wie so viele Männer in dieser Geschichte, einen Schnurrbart, wenn auch nicht aus Überzeugung.
    Darü ber hinaus gehört zu meinen Eigenheiten die nur schwer zu unterdrückende Neigung, rhetorische Fragen wörtlich zu verstehen und zu beantworten. Natürlich habe ich mich darum bemüht, mir das abzugewöhnen, aber vielleicht nicht entschlossen genug: So wie ich viele Dinge versucht habe, ohne ihrem Gelingen große Bedeutung beizumessen. Es fehlt mir auch einfach das Verständnis dafür, warum Menschen ihre Gedankengänge in eine Schicht aus Ironie einpacken sollten, denn zwischen den Dingen und mir gab es ohnehin seit jeher eine Distanz. So als sei die Welt in eine dünne und durchsichtige, aber zähe Plastikfolie gewickelt, die sich zwar dehnen und zerren, aber selten zerreißen lässt. Selbst berechtigten Ärger muss ich nach außen hin meist simulieren, eine bewusste Entscheidung für Stimmlage und Lautstärke treffen, als stellte ich diese Dinge an einem Mischpult mit feinfühligen Reglern ein. Kritisch lausche ich dem Ergebnis, um herauszufinden, ob es wohl glaubhaft klingt.

    Heute beim Aufwachen schien es mir, die teils weiß gestrichenen, teils blass blaugrün gefliesten Wände seien näher zusammengerückt, während ich schlief. Unsinn, natürlich; zum Beweis des Gegenteils schreite ich die Längs- und die Querseite des Raumes ab, vierzehn mal acht Schritte. So wie immer, kein Zweifel. Hier steht ja nicht einmal Aussage gegen Aussage: Nur was, wenn ich die Zahl nicht mehr richtig erinnere, wenn es anfangs neun Schritte waren, und mein Verstand die Einsicht verweigert? Etwas so Grundlegendes wie die festen Abmessungen eines Raumes lässt sich weder beweisen, noch widerlegen. Es drängt mich, die Zahlen an die Wand zu schreiben, aber ich beherrsche mich: Das wäre der Akt eines Wahnsinnigen.

    Und wahnsinnig bin ich nicht, im Gegenteil; eigentlich mache ich mich als Gefangener ganz gut. Andere würden laut schreien oder vielleicht versuchen, die Gummidichtung unten an der schweren Metalltür abzureißen, die mein Gefängnis von dem Draußen trennt. Aber nicht ich.
    Schließ lich, mir fehlt es an nicht viel. In dem eisernen Bett, von dessen Gestell der Lack abblättert, schlafe ich meist traumlos und gut. Es gibt Bücher, ein Kartenspiel, ein Waschbecken mit Spiegel und fahlem Neonlicht, in dem man sich immer wie einem Fremden begegnet; Dusche und WC in einem schmalen Nebenraum, fast wie bei einem Gästezimmer. Zwei reichliche Mahlzeiten und Dinge des täglichen Bedarfs kommen durch eine silbrige Lade neben der Tür, an deren metallener Oberfläche ich mir, wenn die trockene Wärme aus den nahe der Decke verlaufenden Heizungsrohren überhandnimmt, die Stirn kühle. Vielleicht diente sie einst zum Tausch von Wäsche oder als Schleuse für steriles Material, jetzt ist sie meine einzige Verbindung zur äußeren Welt.
    Der Boden fä llt fast unmerklich zur Mitte des Raumes hin ab: Dort befindet sich ein Abfluss, von dem ein unbestimmtes Unbehagen ausgeht. Im hinteren Drittel des Raumes lagert, von einem Vorhang abgetrennt, ausgemusterte Krankenhauseinrichtung: Infusionsständer, schwere OP-Lampen, zusammengerollte Schautafeln, ein riesiger EKG-Schirm, der einst Leben und Tod als grüne Kontur zeichnete, jetzt erloschen. Bald ziehe ich den Vorhang zu, um Ruhe vor dem Blick auf die Gerippe unnützer Gerätschaften zu haben. Bald öffne ich ihn wieder, weil mir scheint, es sei besser, die Dinge im Blick zu behalten.

    Ansonsten geht es mir gut. Auch meine Freiheit fehlt mir weniger, als man meinen könnte; ihr Verlust hatte schon begonnen, als ich mich noch jenseits dieser Wände befand. Zudem ist meine Gefangenschaft selbst verschuldet und ganz folgerichtig, und am Folgerichtigen habe ich von jeher meine Freude gehabt. Ich habe mich in den klebrigen Fäden einer Legende verfangen, gesponnen und ausgeworfen von niemand als mir selbst, und zu viel von dem verführerischen, lähmenden Gift gekostet, dessen Wirkung ich demonstrieren wollte.
    Auf unvorhergesehene Weise hat sich in Unheil ve rkehrt, was mir nur ein Zeitvertreib hätte sein sollen. Das Spiel mit Erwartungen hat mich hierher gebracht; nun verfolgt mich bei jedem Gedanken die
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