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Wir zwei sind Du und Ich

Wir zwei sind Du und Ich

Titel: Wir zwei sind Du und Ich
Autoren: Diana Raufelder
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sein.
     
    Ri wird aus ihren Träumen gerissen. Die U2 fährt aus dem dunklen Tunnel hoch hinauf über Berlin. Es hat zu schneien angefangen.

Join me
    „Hallo Ri“, begrüßt Stevie sie mit einem Lächeln. „Hab ’ne neue Playlist erstellt. Musste mal reinhören.“
    „Klaro!“ Ri greift freudig nach dem MP3-Stick, den Stevie ihr entgegenstreckt. Von allen Sound-In Verkäufern mag sie Stevie am liebsten. Wenn er von Musik redet – eigentlich redet er von nichts anderem – dann leuchten seine grünen Augen und ein Glanz huscht über sein schmales Gesicht. Dann ist er fast schön, findet Ri. Stevie ist großer „Beatles“-Fan und besitzt die größte Plattensammlung und mp3-Datenbank, die Ri je gesehen hat. Und er kann Platten in mp3 konvertieren. Dann hört man die knisternden Vinylplatten digital. Genial.
    Am Pult hinten im Sound-In setzt sie sich die großen, schweren Kopfhörer auf, die ihre Ohren so fest umschließen, dass kein Geräusch der Welt dort draußen sie erreichen kann. Ri ist mit der Musik allein. Die Schule, ihr Vater – alles ist vergessen. Die Stimme und die weichen Gitarrenklänge von „Blackbird“ nehmen Ri in Besitz. So muss es auf einem Beatles-Konzert gewesen sein, denkt Ri.
     
    „Nimm diese erloschenen Augen und lerne zu sehen
    Dein ganzes Leben lang
    Hast Du gewartet auf diesen Moment,
    um frei zu sein
    Flieg, Amsel, flieg
    In das Licht der dunklen schwarzen Nacht“,
     
    singt Paul. Ri glaubt ihm. Sie schließt die Augen. Über ihr nur Himmel. Sie fliegt über’s Meer. Wie ein Vogel. Schwerelos.
    Nachdem Ri Stevies Mix durchgehört hat, greift sie nach der „Razorblade Romance“ von HIM. Wenn es wirklich Ben war, den sie gesehen hat, dann findet sie vielleicht einen Hinweis in der Musik. Die Musik weiß schließlich auf alles eine Antwort.
    Bei „Join me“ kommt Ri ins Grübeln. „This world ain’t worth living“, singt Ville durchaus überzeugend. Aber es passt überhaupt nicht zu Ben! Ben war wild und liebte das Leben! Immer schaute er voller Optimismus nach vorn.
    „Das kann nicht Ben gewesen sein“, sagt Ri leise zu sich selbst und springt auf. Unruhe macht sich in ihr breit. Sie schlüpft in ihren Mantel, zieht die rote Mütze fest über ihre Ohren und läuft zum Ausgang.
    „Hey Ri, gehste schon?“, Stevie schaut sie verwundert an.
    „Ja, muss los“, antwortet Ri knapp. „Kann ich den Stick mitnehmen?“
    Mit all ihrem Charme lächelt sie Stevie dabei an, sodass der rot wird und sich schnell hinter den Regalen versteckt. Aber Ri hat es trotzdem bemerkt.
    „Logo!“, murmelt er hinter den Regalen hervor, wo er so tut, als wäre er mit dem Einräumen von Platten ziemlich beschäftigt. Ri kann sich ein Grinsen nicht verkneifen.
    Draußen ist es schon dunkel. Es riecht nach Kohle, nach Weihnachten und Kälte. Das tut gut, findet Ri. Vielleicht kann sie so einen klaren Gedanken fassen. Denn diese Ahnung, diese Befürchtung lässt sie nicht los. Das kann nicht Ben gewesen sein! Sie ist so in Gedanken, dass sie die anderen Menschen gar nicht wirklich bemerkt. Sie schlängelt sich durch sie hindurch, bis sie plötzlich vor dem KaDeWe steht. Hier könnte sie in die U2 steigen, aber der Gedanke an Zuhause lässt sie weiterlaufen.
    Das kann nicht Ben gewesen sein, denkt sie wieder, als sie in die Fuggerstraße einbiegt.
    Wie auch? Er lebt ja in Istanbul. Die „Razorblade Romance“ ist so voller Traurigkeit – und Ben war nie traurig! Oder hatte sie es einfach nicht bemerkt?
     
    Als Ben die Nachricht von Lolas Tod bekam, stand er aufrecht und gerade da. Wie eine hundert Jahre alte Säule. Unverwüstlich! Ri sieht es noch genau vor sich. Gerade mal dreizehn Jahre alt, hörte er der Frau vom Jugendamt aufmerksam zu, die ihm vom Autounfall seiner Mutter berichtete. Ben weinte nicht. Er zitterte auch nicht. Er wollte auch nicht von der Frau vom Jugendamt in den Arm genommen werden. Nur daran, dass er Ris Hand ganz fest drückte, konnte sie seinen Schmerz erahnen, seine Traurigkeit.
     
    Ri war – ohne es zu bemerken – bis zum Winterfeldplatz gelaufen. Zwischen den vielen Cafés, den bunten Imbissbuden mit ihren lockenden Düften und den Schwulenpärchen überall, fühlt sie sich plötzlich seltsam geborgen. Sie hält kurz inne und betrachtet die dick eingepackten Menschen mit ihren leuchtenden Mützen und Schals, die eilig an ihr vorüberziehen.
    Da sieht sie Ben. Er steigt auf der gegenüberliegenden Straßenseite gerade in ein altes, rotes Auto. Wie angewurzelt
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