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Herbstmilch

Herbstmilch

Titel: Herbstmilch
Autoren: Anna Wimschneider
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Im Landkreis Rottal-Inn steht an einem leichten Osthang ein Bauernhof mit neun Hektar Grund. Drinnen wohnten Vater und Mutter und der Großvater, das war Mutters Vater, und dazu noch acht Kinder. Franz war der älteste, dann kam der Michl, der Hans und nun ich, das erste Mädchen, nach mir Resl, Alfons, Sepp und Schorsch und später dann noch ein Bub.
    Wir Kinder hatten ein fröhliches Leben. Die Eltern waren fleißig, Großvater arbeitete auch noch mit, obwohl er schon zwischen 80 und 90 Jahre alt war. Wenn er sich rasiert hat, mit einem langen Messer, schauten wir Kinder zu, denn das war sehr lustig. Der Spiegel hing an der Wand, und der Großvater schnitt ganz komische Gesichter, die Knie hat er an die Bank gestemmt, und weil er so zitterte, machte die Bank so lustige Töne.
    Im Frühling lag draußen vor der Hofeinfahrt ein großer Wiedhaufen, den die Mutter mit dem Hackl in Bündel hackte. Da spielten wir Kinder, krabbelten auf dem Haufen herum, da wimmelte es nur von Kindern. Die Zapfen von den Fichten, das waren unsere Rosse, die Reigerl von den Föhren unsere Kühe, die Eicheln unsere Schweine. Aus den großen Rindenstücken wurde dann ein Hof gebaut. Rindenstücke waren auch unsere Wagen, an die mit einem Faden oder einer leichten Schnur unsere Tiere eingespannt wurden. Als Getreide nahmen wir Spitzwegerich, Breitwegerichblätter waren unser Geld, und alle möglichen Gräser hatten ihre Bedeutung und machten unseren Spielzeugbauernhof reich.
    Die Eltern freuten sich an ihren Kindern. Gegen Abend spielten wir meist Fangen, schüttelten eine Menge Maikäfer von den Kirschbäumen und wurden vor dem Schlafengehen noch einmal richtig munter. Einmal zog mir die Mutter ein schönes rotes Samtkleid an, setzte mich auf den Schubkarren, um zum Getreidedreschen Scheps zu holen. Auf dem Weg ins Dorf hat sie mich bei den Häusern, an denen wir vorbeikamen, den Leuten vorgestellt, denn sie war sehr stolz auf ihr erstes Mädchen.
    Eines Tages lag die Mutter im Bett, ich weiß nicht, warum, und die größeren Kinder waren bei ihr in der oberen Stube. Von unten hörten wir eine Streiterei, die Mutter kniete sich auf den Boden, aus dem man ein Stück herausnehmen konnte. Sie schaute hinunter. Der Vater und der Großvater stritten. Der Großvater hatte vom Brunnen hinterm Haus Wasser geholt, der Vater aber die Haustüre abgeschlossen, da konnte der Großvater nicht mehr herein. So ergab sich die Streiterei.

    *

    Einmal spielten wir auch so schön und lustig und liefen alle rund ums Haus. Da kam bei der Haustüre die Fanny heraus mit unserem Badwandl und schüttete nahe beim Haus viel Blut aus. Wir blieben alle ringsherum stehen und sagten, heh, heh, was haben wir denn geschlachtet? Sie sagte, das ist von der Mutter. Haben wir denn die Mutter geschlachtet? Wir wollten zur Mutter hinein. Sie sagte, bleibt noch da stehen, ich sag es euch schon, wenn ihr reingehen dürft.
    Wir warteten. Dann zogen wir die Stiege hinauf in die obere Stube. Es begegneten uns zwei Männer in weißen Kitteln. Zwei Nachbarinnen standen da, und der Vater und alle weinten. Die Mutter lag im Bett, sie hatte den Mund offen, und ihre Brust hob und senkte sich in einem Röcheln. Im Bettstadl lag ein kleines Kind und schrie, was nur rausging. Wir Kinder durften zur Mutter ans Bett gehen und jedes einen Finger ihrer Hand nehmen. Später wurden wir wieder zum Spielen hinausgeschickt.
    Am Abend kamen die Nachbarn und viele Leute zum Rosenkranzbeten. Die Mutter lag im Vorhaus, in der Fletz aufgebahrt. Ihre schönen rötlichen Haare waren in Locken gekämmt, wie sie dies immer vor dem Spiegel getan hatte. Sie hatte ein schwarzes Kleid an, und Schuhe hatte sie auch an. Wir Kinder fragten, warum hat die Mutter Schuhe an? Die Nachbarin sagte, daß das ein alter Brauch ist, denn eine Wöchnerin muß auf Dornen in den Himmel gehen. Die Nachbarn beteten einen Rosenkranz, dann bekamen sie Brot, und ein Trunk wurde gereicht. Dann wurde noch ein Rosenkranz gebetet. Das war zwei Abende so.
    Am Tag, als die Mutter starb, nahm den Kleinsten gleich die Taufpatin mit, obwohl sie nie ein Kind gehabt hatte und selbst schon alt war. Wir hatten alle Hunger und nichts zu essen. Statt dessen lagen die jüngsten vier auf dem Kanapee, zwei nach hinten, zwei nach vorn, Joppen als Kopfkissen und als Zudecken. Wir Größeren haben auch irgendwelche Kleidungsstücke zusammengesucht und uns auf die Holzbänke gelegt, die rund um die Stube gingen. Wir haben geweint, weil wir die Mutter
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