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Herbstmilch

Herbstmilch

Titel: Herbstmilch
Autoren: Anna Wimschneider
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in seine Kammer gebracht, nur weiche Sachen, denn er hatte keinen Zahn mehr.
    Als der Großvater noch besser zu Fuß war, da ging er ganz früh fort in die Kirche. Der Michl mußte mit, weil der Großvater unterwegs immer an der gleichen Stelle in den Wald ging und unter dem gleichen Baum seine Notdurft verrichtete. Anziehen konnte er sich nicht mehr allein, deshalb war ja der Michl dabei.
    Der Großvater hatte ein Hemd mit vorn am Hals zwei Knopflöchern, da mußte man ein Kragenknöpferl durchstecken, und auf der vorderen Seite konnte man das Knöpferl umkippen. Dann kam die aus weißem Leinenstoff gefertigte, ganz hart gestärkte Brust, die war breit wie der Oberkörper, und unten konnte man sie noch ein bißchen in den Hosenbund stecken. Oben beim Kragenknöpferl wurde eine Krawatte eingehängt. So sah man das alte Hemd nicht mehr, das er darunter anhatte. An die Füße zog er Schnallenschuhe an, auch Gummistutzen hatte er zum Anziehen. Die hatten links und rechts einen schwarzen dehnbaren Gummi am Knöchel eingenäht. Die Hosen waren sehr eng und hatten Hosenträger. Zur Arbeit trug der Großvater immer eine blaue Leinenschürze, die um den Hals und um den Bauch ein schmales, blaues Leinenband hatte. Er arbeitete nie ohne seine Schürze, die man Fetzen nannte. Bei uns auf dem Lande gibt es heute noch Stoff für solche Fetzen zu kaufen. Es ist das gleiche blaue Leinen.
    Tagsüber hatte der Großvater seinen Platz auf der Ofenbank, da waren wir Kinder oft ganz nahe bei ihm. Seine grauen Haare standen vereinzelt in die Höhe, in den Ohrläppchen waren kleine Goldplättchen. Das sollte für die Augen gesund sein. Seine rechte Hand lag auf dem Ofensims, und wir Kinder faßten die lockere Haut auf seiner Hand und dehnten sie. Das durften wir alle machen, nur der Alfons nicht, den konnte er nicht leiden. Statt Alfons sagte er immer Atterl zu ihm. Wenn ich Knödel machte, hat mir der Großvater das Brot geschnitten.

    *

    An den Winterabenden heizten wir den Ofen fest ein, die Stube war warm. In der oberen Stube, genau über dem Ofen unten, war ein Kachelofen, der vom unteren Ofen mitbeheizt wurde. Er hatte Hufeisenform, und man konnte sich in seine Bucht hineinsetzen. Da haben wir Kinder einander immer wieder herausgezerrt, wenn eins zu lange drinnen blieb, denn die anderen wollten sich auch vor dem Schlafengehen aufwärmen. Der Vater legte ein Brettchen auf den Stubenofen und setzte sich darauf, so daß es oft brenzlig roch, das war dann Vaters Hose. Der Vater rauchte am Abend gerne eine kurze Pfeife mit billigem Tabak, den Kloben, wie er seine Pfeife nannte. Und über dem Tisch hing eine Petroleumlampe mit einem gläsernen Schirm, das war recht gemütlich. Der Vater mußte unheimliche Geistergeschichten erzählen, vom Krieg, den er mitgemacht hatte, und von Mordsachen. Großvater erzählte, wie er von Eggenfelden nach Passau mit den Pferden schweres Langholz gefahren hat. Oft ging das Petroleum in der Lampe aus, und je dunkler es in der Stube wurde, um so lebhafter wurden wir Kinder. Da wurde blind Mäuschen gefangen, man stieß überall an, das war sehr lustig. Von dem Petroleumrauch bekamen wir ganz schwarze Nasenlöcher und schwarze Bärtchen, darüber mußten wir lachen.
    Während meine Geschwister dem Vater zuhörten, hatte ich auf dem Tisch eine Handnähmaschine stehen, ich mußte fleißig flicken. Dazu war noch ein kleines Öllämpchen nötig, das stand auf einem Literhaferl, sonst hätte ich die Naht nicht sehen können. Wenn der Vater mit den Geschwistern zu Bett ging, durfte ich noch lange nicht mit dem Nähen aufhören, erst um zehn Uhr abends. Oft schlief ich vor Müdigkeit ein, da klopfte der Vater oben auf den Boden und rief, was ist mit dir, ich höre die Nähmaschine nicht mehr. Da wurde ich wieder wach und nähte weiter.
    Einmal brauchte ich einen größeren Leinenfleck zum Bettwäscheflicken. Der Vater wollte ihn mir aus der oberen Stube holen. Da stand ein breiter Schrank, in dem waren zwei große Ballen mit Leinen. Das hat die Mutter selbst gewebt, ein Ballen war grobes und einer sehr feines Leinen. Wie nun der Vater den Schrank aufmachte, war kein Leinen mehr da. Da schaute sich der Vater weiter um. Im Glaskasten fehlte eine goldene Riegelhaube mit den echt goldenen und silbernen Nadeln, und der ganze Schmuck der Mutter war auch weg. Der Vater sagte, das müssen die Haushälterinnen mitgenommen haben.
    Die Winter waren damals viel kälter, es gab viel mehr Schnee als heute. Selten hatten junge
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