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Herbstmilch

Herbstmilch

Titel: Herbstmilch
Autoren: Anna Wimschneider
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die Ursache meiner Krankheit. So gingen auch die letzten Kühe aus dem Stall, und dann war es ganz still dort.
    Ich mußte mir die Milch nun bei einem der anderen drei Höfe holen. Bei meiner nächsten Nachbarin, einer noch jungen Frau, bin ich aber bös abgeblitzt. Wir haben einen Hofraum miteinander, und es war nie etwas zwischen uns, im Gegenteil, ich habe ihr viele Blumen gegeben oder andere Gefälligkeiten erwiesen, wie das bei Nachbarinnen üblich ist. Da sagte die glattweg, nein, von mir nicht, hättest du dir doch deine Kühe behalten. Da mußte ich zum nächsten Nachbarn gehen, der gab mir den Rat, die Milch in der Stadt zu kaufen. Nun war nur noch eine Möglichkeit beim dritten.
    Die Frau in diesem Nachbarshof hat mir gegeben, soviel ich wollte, und mir gut eingemessen, sie war ehrlich und hilfsbereit, auch nicht neidisch.
    Inzwischen war es 1971 geworden. Wir mußten uns anstrengen, um in der Landwirtschaft mitzuhalten. Der Maisanbau ermöglichte eine noch größere Viehhaltung und damit auch größere Einnahmen. Doch nun brauchten wir bessere Maschinen. Jetzt war die Entscheidung, weiterzumachen oder den Betrieb aufzugeben. An einem Freitagnachmittag haben wir uns entschlossen, die Grundstücke zu verpachten.
    Ein sehr ehrlicher Nachbar hat alles gepachtet, und mein Mann suchte in einem Handwerksbetrieb um Arbeit nach. Es war September. Im Oktober wurde ich wieder schwerkrank und nach München verlegt. Von dieser Zeit an bin ich nicht mehr gesund geworden. War es zuerst das Herz mit schweren Rhythmusstörungen, so kam dann eine Gallenoperation dazu, schließlich Asthma mit furchtbaren Erstickungsanfällen, so daß ich viele Stunden bewußtlos war. Ich hatte alle Todesängste schon mehrmals durchgemacht und hatte keine Angst mehr vor dem Tod, wenn nur die Angst vor dem Ersticken nicht wäre. Noch manche andere Leiden kamen dazu, und in allen Jahren bis 1980 bin ich länger im Krankenhaus gewesen als daheim.

    *

    Ich hab im Krankenhaus eine Frau kennengelernt, die meine Bettnachbarin war. Jetzt ist sie schon alt, sie möchte auch nie mehr zur Welt kommen.
    Ihre Eltern waren sehr arm, so mußte sie schon als Kind zu fremden Leuten. Erst hatte sie einen guten Platz. Dann wuchsen die eigenen Kinder der Leute heran, und sie mußte weggehen. Da war es nicht leicht, ein Heim zu finden. Sie war zwar nur das einzige Kind, aber ihr Vater war arbeitslos und die Mutter krank. Die Eltern brachten sie dann bei einem Nachbarn unter. Sie boten ihr noch lange auf, sie solle recht fleißig sein, sie sei ja in der Nähe ihrer Eltern.
    An Lichtmeß, dem 2 . Februar, kam sie hin. Am späten Nachmittag schickte der Bauer das ganze Gesinde in den Stall, und sie mußte mit dem Bauern zum Futterschneiden auf den Heuboden gehen. Kaum waren sie oben, wurde er handgreiflich. Wie er sah, daß sie nicht von der Sorte war, warf er sie mit Gewalt ins Heu. Sie wehrte sich, da sagte er, wenn du das nicht willst, kannst du gleich gehen! Da ging sie noch am späten Abend heim.
    Die Mutter sagte, wir haben gar nichts zum Essen, geh doch wieder hin, vielleicht wird er doch noch gescheiter. Da ging sie wieder hin. Am nächsten Tag machte er das gleiche, und weil sie keinen anderen Ausweg wußte, gab sie nach. Nun war sie ihm ausgeliefert, und oft hat sie geweint. Wegen dem bißchen Essen machte der Hammel mit ihr, was er wollte. Tagsüber mußte sie genauso schwer arbeiten wie die anderen, obwohl sie noch schwach und klein war. Damit die anderen Dienstboten nichts merkten, war der Bauer tagsüber auch noch recht grob zu ihr.
    Das ging gut ein Jahr, dann sagte sie zu ihm, Bauer, ich bin schwanger! Da wurde er ganz narrisch und schrie, aber nicht von mir! Du Hure! Mistviech! Dreckpritschn herglaufene!, und noch viele andere Schimpfworte gab er ihr. Sie sagte es der Bäuerin. Da halfen der Bauer und die Bäuerin zusammen und jagten die Magd vom Hof. Ihr bißchen Gewand haben sie ihr über die Stiege nachgeworfen.
    Mit ihren Eltern hat sie bitterlich geweint. Sie hat dann ihr Kind geboren. Alle haben sie immer wieder nach Arbeit gesucht, weil nicht mal Wäsche da war. Und der Saubauer gab ihr nicht einen Liter Milch für das Kind. Zu jedem sagte er, das Kind habe er nicht gemacht. Niemand half den armen Leuten, mit dem großen Bauern wollte sich niemand abwerfen. Mühsam haben die junge Mutter und ihre Eltern das Kind großgezogen. Der Sohn ist später ein ganz tüchtiger Mann geworden. Er hat ein schönes Haus, eine nette Frau und zwei Kinder,
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