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Sauberer Abgang

Sauberer Abgang

Titel: Sauberer Abgang
Autoren: Anne Chaplet
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    Dalia Sonnenschein lag auf den Knien und sah zu, wie eine Träne auf das Parkett fiel und zerplatzte. Nicht weinen, verdammt. Sie wischte mit dem blauen Lappen über den winzigen feuchten Fleck, als ob sie nicht nur jeden Kratzer, sondern auch noch jedes Astloch wegpolieren könnte aus dem bernsteinbraunen Holz.
    Nicht weinen.
    Mutter hatte auch auf den Knien gelegen, damals, und gewischt und gewienert und geweint und gesagt: »Wir müssen diesmal ganz besonders gründlich sein, Schätzchen, hörst du?«
    Alles sauber kriegen. Je-den-Fleck-weg-ma-chen. Über das Linoleum schrubben, bis es quietscht. Den Scheuerlappen in den Wassereimer stecken, auswringen, daß die dunkle Brühe rausläuft, schrubben reiben wischen. Und nicht daran denken, was auf dem Küchenboden liegt, direkt neben der Tür zum Flur. Was nach Schnaps stinkt und Kotze und Pisse und sich nicht rührt. Damals hatte Dalia nicht geweint, sondern der Mutter geholfen, so gut man kann, wenn man sieben Jahre alt ist.
    Sie schob die Haarsträhne hinters Ohr, die sich aus dem strengen Pferdeschwanz gelöst hatte, den sie nur während der Arbeit trug. Die feuchten rosa Gummihandschuhe rochen nach Latex und Furol. Sie sehnte sich nach zu Hause, ihrem Bademantel und einem Tropfen Parfum.
    Nicht weinen. Das alles ist ewig lange her, und dies hier ist nicht die dunkle Wohnung in Dietzenbach, sondern das gut ausgeleuchtete Zimmer des Geschäftsführers des vornehmen Bankhauses Löwe. Und nichts erinnert an damals – bis auf eines.
    Ein aufgedunsener Mond war dem sanft geröteten Morgenhimmel entstiegen und bleckte durch die Fensterfront. Dalia hatte ganze Arbeit geleistet, wie immer: die benutzten Gläser in die Teeküche gebracht, gespült und poliert, den gläsernen Schreibtisch gewienert, bis davon kein Fingerabdruck mehr zu gewinnen war, die Telefonanlage gesäubert und sogar die Computertastatur gereinigt. Sie hatte den Papierkorb ausgeleert und das Leder der Sitzgarnitur in der Besucherecke abgerieben. Sie hatte alles so gemacht, wie es sich gehört im Zimmer des Geschäftsführers.
    Dalia stützte sich mit der linken Hand ab und stand auf. Die Knie taten weh. Sie mußte ewig lange auf dem Parkettboden gehockt und mit dem Oberflächentuch auf ihm herumgewienert haben, völlig ohne Sinn und Verstand, wozu gab es für die Bodenreinigung den Mop?
    »Das kriegt man nur von Hand weg«, hörte sie ihre Mutter flüstern. Ihr wurde schwindelig. Nichts hatten sie weggekriegt, obwohl sie die halbe Nacht auf den Knien verbracht hatten, die Mutter und sie. Ihn hatte man nicht wegwischen können, er lag da und stank und war auch tot nicht aus der Welt zu schaffen.
    Sie blickte sich um. Alles sah aus wie immer. Bis auf … Sie zwang sich dazu, sich umzudrehen und in die linke Ecke des Raumes zu sehen, dort, wo die Besuchersessel standen. Jetzt jedenfalls standen sie wieder; der eine hatte auf der Seite gelegen, als sie das Zimmer betrat. Sie blickte auf die Uhr. Um sechs Uhr hatte sie angefangen, jetzt war es fast sieben, was sollte sie sagen, wenn man sie fragte, was sie denn gemacht habe die ganze Zeit?
    Ich hab’ mir die Leiche angeschaut?
    Er mußte live gar nicht übel ausgesehen haben. Für sein Alter. Mit steifen Beinen ging sie hinüber und hockte sich neben den Toten. Saitz hieß der Mann. Sie runzelte die Stirn, während sie ihn betrachtete, das blasse Gesicht, die hohe Stirn, die auffallende Designerbrille ein wenig verrutscht. Er trug einen roten Rollkragenpullover, nicht sehr trendy. Kein Jackett. Ihr Blick glitt tiefer. Ehering. Armbanduhr. Die rechte Hand zu einer halboffenen Faust geballt. Es steckte etwas zwischen Zeigefinger und Daumen. Sie stupste einen latexbehandschuhten Finger hinein und schrie leise auf, als ihn etwas Spitzes traf. Sie steckte den Finger in den Mund. Er schmeckte abscheulich, nach Gummi und Seifenlauge und dem Blutstropfen, der sich an der Handschuhspitze gebildet hatte.
    Der Gegenstand war eine Art Amulett, geformt wie ein Davidstern in einem Kreis, allerdings mit einem Zacken weniger. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen und steckte ihn in die Kitteltasche. Dann stand sie auf und streckte sich. Es half alles nichts. Es wurde Zeit.
    Sie warf den Staubsauger an, ließ ihn kurz aufheulen und dann fallen. Sie stolperte gezielt über den Wassereimer, dessen Inhalt sich über das Parkett ergoß, reckte die Hände in den schweinchenfarbenen Gummihandschuhen, drückte mit den Ellbogen die Tür auf und fing an zu schreien.
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