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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik
Autoren: Heinz G. Konsalik
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können. Aber es ist immer dasselbe … über zwei Drittel der Löhnung versäuft er am Freitag.«
    Der Wachmann ballte die Fäuste und sah Peter Kaul nach, der fast das eiserne Tor erreicht hatte. »Man sollte 'raus und ihm eine schmieren!« sagte er laut. »So lange, bis er einsieht, welch ein Schwein er ist!«
    »Quatsch. Wer saufen muß, der säuft! Entlassen tun sie ihn nicht, erstens wegen der Frau und den Kindern und zweitens, weil er ein guter Elektriker ist. Das ist es ja … saufen kann er wie ein Loch, aber auch arbeiten wie'n Panjepferd! Achtung!«
    Peter Kaul hatte das Tor passiert. Er sah seine beiden Kinder neben der Pförtnerloge stehen, und sein Gesicht verzog sich zu einem bösen Lächeln.
    »Aha!« brüllte er. »Meine Leibwache! Das Begleitkommando! Die ›weißen Mäuse‹ der Frau Kaul! Was wollt ihr hier?«
    Heinz und Petra hielten sich noch fester an der Hand. Ihre zwölf- und zehnjährigen Herzen schlugen wild und ängstlich. Heinz, der jüngere versuchte zurückzulächeln.
    »Guten Tag, Papi!« rief er.
    »Scheiße!« Peter Kaul drückte die Aktentasche unter den Arm und senkte den Kopf. Dann griff er in die Hintertasche seiner Hose, zog eine flache Flasche, einen sogenannten ›Flachmann‹, heraus, setzte sie an den Mund und trank sie aus. Sie war noch viertel voll gewesen. Mit großen Augen sahen die Kinder zu, wie der wasserhelle Schnaps zwischen den Lippen des Vaters verschwand, wie der Adamsapfel zitterte und zuckte, wie der Mund schmatzte, nachdem die Flasche leergetrunken war, und wie die Hand hochfuhr und die Flasche weit weg zwischen Eisengerümpel schleuderte.
    »Papi«, sagte Petra leise. »Papi, komm …«
    »Ich geh' jetzt 'raus und hau' ihm eine 'runter!« schrie der Wachmann und sprang auf. Der Pförtner hielt ihn am Rock fest und zog ihn zurück.
    »Laß den Quatsch! Nachher kriegen es die Kinder dreifach wieder. Misch dich da nicht 'rein! Das ist deren Sache! Ich sehe mir das jetzt schon über'n Jahr an … Der Kaul ist gar nicht so. Er ist oft ein netter Kerl. Aber dann plötzlich kommt's über ihn, und er muß einfach saufen. Das habe ich dreimal erlebt. Er saß hier, wo du jetzt sitzt, und wir unterhielten uns über'n Krieg. Den hat er als Flakhelfer mitgemacht, als sechzehnjähriger Schlips. Wenn ich von Rußland erzählte, war er immer ganz Ohr. Und dann plötzlich, als wenn der Blitz einschlägt, springt er auf und sagt: ›Mensch, ich muß einen Schnaps haben! Bis morgen!‹ Und weg ist er. Der Kaul ist krank … da freß ich 'nen Besen!«
    Sie sahen durch das Fenster auf die beiden Kinder und ihren Vater. Peter Kaul stand jetzt vor ihnen, leicht schwankend, mit stierem Blick, die Aktentasche gegen die Brust gedrückt. Um sie herum fluteten die anderen Arbeiter zu den Omnibussen, zu ihren Wagen, den Fahrradschuppen, den Straßenbahnhaltestellen.
    »Komm, Papi«, sagte Petra noch einmal. »Mutti wartet.«
    »Ich komme, wann ich will!« schrie Peter Kaul. »Und jetzt gerade! Jetzt gerade! Verstanden? Jeden Freitag dasselbe Theater! Ich brauche keinen Abschleppdienst! Ich bin kein Wrack! Verdammt noch mal!«
    »Gundi ist krank, Papi …«
    »Quatsch! Bißchen Husten.«
    »Der Doktor meint, es könnte Lungenentzündung werden.«
    Peter Kauls Gesicht verzog sich wieder zu einem bösen Lächeln. Er beugte sich zu den Kindern vor, sein Alkoholatem umwehte sie.
    »Das sind alles faule Tricks eurer Mutter«, sagte er eindringlich. »Alles Tricks! Ich soll nach Hause kommen … im Dauerlauf, was? Und dann die Lohntüte auf 'n Tisch legen und abrechnen. Peter Kaul hat sich erlaubt, von seinem sauer verdienten Geld einen Flachmann Korn zu kaufen und zu trinken. Wer kann ihm verzeihen? Bitte, bitte, tut es, verzeiht dem armen Sünder! Er hat mit Überstunden in der Woche zweiundfünfzig Stunden geschuftet … gönnt dem armen Wicht ein Schnäpschen! So soll's sein, so will das eure Mutter! Ein Hundeleben ist das! Wenn ihr mal groß seid, werdet ihr euren Vater verstehen!« Er griff in die Rocktasche, wühlte darin herum zog die Hand dann heraus. Zwischen den Fingern hob er eine Mark empor und zeigte sie den Kindern.
    »Hier, für jeden fünfzig Pfennig! Los, kauft euch Eis dafür oder Schokolade! Aber haut ab …«
    Petra schüttelte den Kopf. »Mutti sagt, wir sollen –«
    »Abhauen!« brüllte Peter Kaul und steckte die Mark wieder ein. Er preßte die Tasche unter den Arm und hob die andere Hand. Die beiden Kinder duckten sich, sie krochen aneinander, sie bildeten einen Igel
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