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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Würgen im Hals. Ich habe doch nichts getrunken, wollte er schreien. Seht doch, seit zwei Jahren habe ich an diesem Freitag zum erstenmal keinen Tropfen getrunken! Das heißt – zwei Flaschen Bier und zwei Korn, aber was ist das denn? Ich bin nüchtern, ganz nüchtern, obwohl es mir in der Kehle juckt und ich Sehnsucht habe nach Ruhe und Vergessen. Und gerade dann, dann sind sie nicht da. Ich hätte ihnen Plätzchen gekauft, Eis, Schokolade, ich hätte ihnen die volle Lohntüte gezeigt: Seht, alles ist da! Das ganze Geld! Sagt es der Mutti!
    Er sah zur Pförtnerloge. Der Wachmann und der Pförtner blickten ihn an, abwartend, neugierig. Ich bin nicht besoffen! wollte er schreien, aber er bezwang sich und wandte sich wieder ab. Fünfzig Mark habe ich schwarz verdient, dachte er. Sie müssen in dieser Woche reichen. Er muß damit zufrieden sein. Mehr kann ich nicht. Von diesen fünfzig Mark weiß Susanne nichts, sie stehen auf keiner Abrechnung, ich habe dafür geschuftet. O Gott, wenn man doch saufen könnte, um das alles zu vergessen, diesen Druck wegzuspülen und wieder auf der sonnigen Wiese zu liegen …
    Der Freitagrückweg vollzog sich wie immer. Straßenbahn bis zum Bahnhof, Postamt, zu Fuß nach Hause. Aber diesmal ging er an den Wirtschaften vorbei, er zwang sich mit unverständlicher Kraft, wegzusehen, denn allein schon der Anblick der Wirtshausschilder zauberte in seine Nase den Duft von Alkohol. Um das Pfarrhaus von St. Christophorus ging er dreimal herum, umkreiste die Kirche und redete sich gut zu. Geh hinein, sage dem Pfarrer, es sei sinnlos, über Dinge zu reden, die er nie verstehen wird, sei höflich, behalte deine Beherrschung, und dann geh nach Hause und lege Susanne die volle Lohntüte auf den Tisch. Hauch ihr ins Gesicht und sage lächelnd: »Na, keinen Tropfen, riechst du's?« Und dann laß dich verwöhnen, denn an diesem Freitag kommst du nach Hause wie ein siegreicher König!
    Pfarrer Merckel erwartete Peter Kaul schon. Die Haushälterin ließ ihn sofort in die Bibliothek, sie war in Hut und Mantel, denn heute war ihr vom Herrn Pfarrer ein Kinobesuch gestattet worden. Sie hatte frei.
    »Guten Abend, Herr Pfarrer«, sagte Peter Kaul und blieb an der Tür stehen. Seine Nasenflügel blähten sich, ein Zittern lief über seine Oberlippe. Es roch nach Alkohol in der pfarramtlichen Bibliothek. Es roch nach Whisky. Peter Kaul schob die Unterlippe vor. Er mochte keinen Whisky, er schwor auf die kleinen Klaren. Sie sahen wie Wasser aus und waren Zauberer der Seligkeit.
    »Kommen Sie 'rein, Herr Kaul«, sagte Pfarrer Merckel und winkte. »Und machen Sie die Tür zu. Wir sind jetzt ganz unter uns und können uns kennenlernen.«
    »Ich bin nur gekommen, Herr Pfarrer, um Ihnen –«
    »Ich weiß.« Die wuchtige Gestalt des Pfarrers duldete keinen weiteren Widerspruch. Peter Kaul kam näher und starrte auf den Tisch, um den die Sessel gruppiert waren. Gläser standen da und drei Flaschen, Whisky, Korn und Doppelwacholder. Ein Brennen stieg in seinem Gaumen hoch, sein Magen zuckte, eine unendliche Sehnsucht nach Flüssigkeit trocknete seine Mundhöhle aus. Er schluckte krampfhaft und setzte sich mit zitternden Knien.
    Sie sahen sich an wie zwei Gegner in einem Boxring, stumm, etwas nach vorn gebeugt, der Pfarrer stehend, wuchtig, wie Moses am Felsen der Zehn Gebote, Kaul im Sessel hockend, die Hände zwischen die Knie geklemmt, innerlich bebend und sprungbereit wie ein Raubtier. Er ist ein Satan, dachte Peter Kaul. Er ist kein Priester, nein, er ist der Teufel. Er weiß, daß ich saufe, und er stellt vor mich auf den Tisch Schnaps und leere Gläser. Er weiß doch, wie ein leeres Glas auf mich wirkt, und gerade am Freitag! Und dieser Geruch, dieser in die Knochen ziehende Geruch nach Sprit. Er ist ein Satan.
    »Da sind wir nun, mein lieber Kaul«, sagte Pfarrer Merckel mit seiner tiefen Patriarchenstimme. »Ein seltenes Zusammentreffen, nicht wahr? In der Kirche sehe ich Sie selten.«
    »Nie!« brummte Peter Kaul und wandte den Kopf weg. Die Kornflasche flimmerte im Lampenlicht, der Wacholder daneben schien zu singen. Es war eine Halluzination, die ihn bis ins Innerste ergriff.
    »Nie. Richtig!« Pfarrer Merckel lächelte breit. »Wie ehrlich wir doch sind! Warum eigentlich nicht?«
    »Was?«
    »Sonntags nicht in der Kirche?«
    »Von Montag bis Freitag schufte ich wie ein Karrengaul. Am Samstag gehe ich auch arbeiten, schwarz, wissen Sie, um den Lebensstandard des Wirtschaftswunders zu erreichen. Und am
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