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Verschollen

Verschollen

Titel: Verschollen
Autoren: Jörg Benne
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    »WIESO IST PAPA IMMER NOCH NICHT DA?« Tristan war aufgebracht. Es war ihm egal, dass die anderen Leute im Krankenzimmer neugierig zu ihm und seiner Mutter herüberschauten. »Ich meine, Svenja und ich liegen im Krankenhaus und er kommt nicht. Was kann so wichtig sein?«
    »Ich – ich habe ihn nicht erreicht«, sagte Tristans Mutter leise und schaute verlegen zu Boden. »Ich erkläre es dir gleich. Komm, pack deine Sachen.«
    Tristan machte den Mund auf, um seinem Ärger weiter Luft zu machen, doch der Ausdruck im Gesicht seiner Mutter ließ ihn stumm bleiben. Las er da Angst in ihrem Gesicht? War etwa auch noch etwas mit Papa passiert?
    Hastig packte er die wenigen Dinge, die er während seines kurzen Krankenhausaufenthaltes gebraucht hatte, in die Tasche. Nur eine Gehirnerschütterung hatten die Ärzte diagnostiziert. Er wünschte, seine Schwester Svenja hätte ebenso viel Glück gehabt. Doch sie lag auf der Intensivstation im Koma. Und das schon seit zwei Tagen. Was in aller Welt konnte Papa davon abgehalten haben zu kommen? Je länger Tristan darüber nachdachte, desto mehr Angst bekam er selbst.
    Kaum hatten sie das Zimmer verlassen, platzte es aus ihm heraus. »Also, was ist mit Papa, sag schon. Ist auf der Bohrinsel etwas passiert?«
    Seine Mutter schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Aber ich kann ihn nicht erreichen.«
    »Nicht erreichen?«, ereiferte sich Tristan. »Was ist mit dem Büro seiner Firma? Was sagen die, wo er steckt? Die müssen doch eine Erklärung haben und ihm wenigstens eine Nachricht weiterleiten können.«
    Seine Mutter schnäuzte sich, schüttelte den Kopf und wieder war da dieser Ausdruck von Furcht in ihrem Gesicht, der Tristan beunruhigte. »Lass uns zu Svenja gehen«, wechselte sie das Thema.
    Sie verließen die Station und fuhren mit dem Aufzug zum Intensivbereich. Nur einer von ihnen durfte gleichzeitig zu Svenja. Tristan ging als Erster, zog sich den Umhang, die Handschuhe und den Mundschutz über und trat in den Raum.
    Svenjas Kopf war dick bandagiert, Schläuche kamen aus Mund und Nase, eine Maschine piepste, eine andere pumpte Luft in und aus ihren Lungen. Tristan saß lange bei ihr und hielt ihre Hand, bat sie stumm um Entschuldigung.
    Er konnte sich nur vage an den Unfallhergang erinnern. Ein dummer Streit wegen Papa, ob er zu Svenjas Geburtstag von der Bohrinsel kommen würde oder nicht. Svenjas Worte hatte Tristan noch im Ohr. »Weil er das Spiel deiner doofen Bayern verpasst hat, glaubst du er kommt auch nicht zu meinem Geburtstag?«, hatte sie gesagt. »Er kommt! Er weiß doch, was wirklich wichtig ist.« Daraufhin war Tristan erbost aus dem Schulbus gestürmt, der gerade anhielt.
    Den Rest hatte seine Mutter ihm im Krankenhaus erzählt. »Sie hat dich weggestoßen und ist selber von dem Auto angefahren worden, das dich sonst getroffen hätte«, hatte sie geschluchzt und Tristan würde nie wieder diesen einen Blick vergessen, den sie ihm in diesem Moment zuwarf.
    Nachdem er die Intensivstation verlassen hatte, musste er draußen im Flur warten, während seine Mutter bei Svenja war. Er stierte auf den Linoleumboden und erinnerte sich an all die Enttäuschungen, die er mit seinem Vater schon erlebt hatte. Verdammte Bohrinsel, dachte er. Warum kann mein Vater nicht irgendwo im Büro arbeiten wie andere auch?
    Mama sah furchtbar aus, als sie aus der Intensivstation kam. Die Augen verheult, den Mund verkniffen, führte sie ihn wortlos aus dem Krankenhaus und zum Auto. Während der Fahrt hing Tristan weiter seinen düsteren Erinnerungen nach und merkte erst nach einer Weile, dass sie gar nicht nach Hause fuhren.
    »Mama, wo fahren wir hin?«
    »Zu Papas Firma«, antwortete sie knapp. »Ich … Da hat sich zuletzt niemand mehr gemeldet, keiner geht ans Telefon. Ich will wissen, was da los ist. Sie haben uns einiges zu erklären. Vor allem dir.« Sie hielt an einer Ampel, straffte sich und sah Tristan in die Augen. »Dein Vater arbeitet nicht auf einer Bohrinsel«, eröffnete sie ihm unvermittelt. »Das hat er noch nie, er war nur mal auf einer, um die Fotos zu machen, die dann mit der Post kamen. Er ist ein …« Es hupte hinter ihnen, die Ampel war grün geworden. Sie fuhr los und konzentrierte sich auf den Verkehr, da sie abbiegen wollte.
    Tristan schossen die wildesten Gedanken durch den Kopf. Was ist Papa? Ein Verbrecher? Ein Geheimagent? Ein Soldat? Ein …
    »Eins musst du wissen. Dein Vater ist ein guter Mensch. Er hilft anderen in … sehr weit
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