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Paul Flemming 03 - Hausers Bruder

Titel: Paul Flemming 03 - Hausers Bruder
Autoren: Jan Beinßen
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schimpfte leise vor sich hin, während er die von Paul aufgenommenen Fotos in der Fotodatenbank suchte.
    Paul beugte sich neugierig vor, als seine Bilder auf dem Bildschirm erschienen. Erstaunlich, dachte er, die Witwe entpuppte sich im Nachhinein als gute Schauspielerin. Frau Henlein war auf den Fotos von echter Trauer gezeichnet. Sie hatte rot umrandete Augen. Auf den verschiedenen Aufnahmen presste sie immer wieder ein Taschentuch vor ihr Gesicht. Ihre Körperhaltung war die einer Frau, die tief verwundet worden war: zusammengesunken, kraftlos. Den einzigen Halt schien ihr Pfarrer Hertel zu geben. Auf mehreren Fotos war zu sehen, wie sie zu ihm aufsah. Wie sie Anlehnung suchte und während seiner Rede an seinen Lippen hing.
    Die mächtige Gestalt des groß gewachsenen Altpfarrers nahm sich neben der kleinen Frau tatsächlich stattlich und in gewisser Weise beschützend und fürsorglich aus. Hertel konnte selbst in bitterer Stunde Trost spenden, den sicherlich auch eine Mörderin gut gebrauchen konnte, reimte Paul sich zusammen, als er die Bilder sah.
    Es folgte eine Aufnahme, die Blohfeld gleich durchwinkte, dennoch löste das Bild in Paul etwas aus.
    »Stopp!«, sagte er unvermittelt. »Noch einmal zurück, bitte!«
    Blohfeld und der Layouter Hans wandten sich verblüfft zu ihm um, und Hans klickte das letzte Bild nochmals an.
    Paul beugte sich ganz nah zum Bildschirm vor. Das Foto – es war leicht verwackelt – zeigte die Rückenansicht des Pfarrers. Neben ihm ging die Witwe. Paul wusste noch genau, wann er das Foto geschossen hatte: unmittelbar nach der Beisetzung. Eine seiner letzten Aufnahmen an jenem Tag.
    Irgendetwas an diesem Bild hatte beim schnellen Drüberschauen der Tagesausbeute soeben seine Aufmerksamkeit erregt. Irgendetwas hatte ihn unbewusst alarmiert. Aber was? Er wollte herausbekommen, was der verborgene Auslöser gewesen war.
    Paul sah sehr genau hin, ließ sich Zeit. Er studierte die Umrisse der Personen, ihre Körpersprache.
    Ja, das war es! Frau Henlein hatte ihren Kopf vertrauensvoll in Richtung der Schulter des Pfarrers geneigt. Aber eben eine Spur zu weit, um der Situation angemessen zu sein. Die Geste hatte ihn aufmerken lassen, denn sie drückte große Vertrautheit aus. Zu große Vertrautheit.
    Sicher: Hertel war ein enger Freund der Familie gewesen. Er hatte um all die Probleme im Hause Henlein gewusst, denn er war ja stets nahe dran gewesen am Familiengeschehen, sehr nahe dran.
    Pfarrer Hertel war fast so etwas wie ein Teil der Familie gewesen. Er hatte Henlein seit dessen Jugendzeit gekannt. Genau genommen hatte der Pfarrer Henlein länger gekannt als Frau Henlein selbst.
    Ganz langsam, quasi in Zeitlupe, fielen bei Paul nacheinander die Groschen. Er sah die Geldstücke in seinen Gedanken einzeln gen Boden fliegen und meinte sogar, das klirrende Geräusch ihres Aufschlags zu hören.
    Pfarrer Hertel, sponn er weiter, musste also frühzeitig mitbekommen haben, wie es um die Ehe der Henleins bestellt war. Natürlich hatte er bemerkt, wie Henleins Hauser – und Ahnenforschung immer stärker zur Manie wurde.
    »Können wir jetzt endlich weitermachen?«, unterbrach Blohfeld seine Gedanken. Auch Hans sah Paul durch seine starken Brillengläser hindurch leicht genervt an.
    »Moment noch, bitte«, sagte er. »Nur ganz kurz.«
    Wenn Hertel also über die Eheprobleme informiert gewesen war, konnte er geahnt haben, auf welche Katastrophe diese schleichende Entwicklung letztendlich hinauslaufen musste. Der Pfarrer konnte die drohende Eskalation unmöglich übersehen haben, dessen war sich Paul sicher. Wenn aber Hertel seinen Schützling Henlein, ohne einzuschreiten, ins Verderben hatte laufen lassen – dann musste der Pfarrer einen handfesten Grund für sein Nichtstun gehabt haben.
    Mit einem Mal machte die ganze Geschichte um Henlein, seinen Hauser-Spleen und seine Forschungen in Richtung der Patrizierfamilie von Buchenbühl Sinn.
    Wie war das noch gleich gewesen? Hatte Hertel den emotional verwirrten jungen Henlein nicht in den Nachkriegswirren an seine starke Hand genommen? Machte dieser Umstand Hertel nicht zu einer Schlüsselfigur in Henleins Leben?
    In Paul rangen die verschiedensten Gedanken. War Hertel tatsächlich nur ein Menschenfreund und gutmütiger Helfer in der Not gewesen, eben ein Mann Gottes? Oder hatte er andere, sehr viel weltlichere Interessen verfolgt – damals in den harten Nachkriegsjahren wie auch noch heute?
    Paul wurde vor Erregung ganz flau im Magen: Mit einem Mal
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