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Paul Flemming 03 - Hausers Bruder

Titel: Paul Flemming 03 - Hausers Bruder
Autoren: Jan Beinßen
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er mit seinen Gedanken ganz woanders. Verstohlen suchte er in dem Gesicht von Pfarrer Hertel nach Anzeichen von Schuld und vielleicht von der Bereitschaft zu gestehen, doch dessen weißes Haar umrahmte eine Miene, die aus Stein gehauen zu sein schien.
    »Nächste Woche holen wir uns einen Experten von der Uni Erlangen «, erklärte Fink. »Er soll mit einem Georadargerät Klarheit schaffen, wie es um den Wandaufbau nun wirklich bestellt ist: Sind die verborgenen Treppen aus der Romantik ordentlich verfüllt worden oder gibt es Hohlräume? Ist das Auffüllmaterial zwischen Innen – und Außenwand des Turms nur aufgeschüttet oder flächendeckend fest mit dem Sandstein verbunden?«
    Fink redete hektisch und unablässig, wobei er heftig gestikulierte. Pfarrer Hertel hingegen blieb unbewegt stehen und fixierte Paul. Trotz seines fortgeschrittenen Alters war er ein Schrank von einem Mann. Er wirkte noch immer kräftig und entschlossen. Paul konnte es zwar bestimmt mit ihm aufnehmen, aber ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, dass es eventuell dazu kommen könnte.
    »Mit elektromagnetischen Wellen könnten wir bis zu einem Meter tief ins Gestein dringen und uns ein Bild vom Zustand der tragenden Wände machen«, fuhr Fink fort. »Doch selbst damit wären wir längst nicht über den Berg: Unter den schwingenden Türmen leidet inzwischen auch das Querhaus. Die Mauern sind von tiefen Rissen durchzogen und müssen dringend ausgebessert werden.« Fink sah niedergeschlagen aus. »Es fragt sich nur, wie wir das alles bezahlen sollen. Du weißt ja sicher, Paul, dass wir inzwischen sogar um Eintritt bei unseren Besuchern bitten müssen: einen Euro fürs Schauen. Doch auch das reicht nicht – es fehlt uns an allen Ecken und Enden.«
    Paul konnte seinen Blick nicht von Pfarrer Hertel wenden. Auch dieser starrte ihn wie gebannt an, doch beide sagten kein Wort. Paul spürte, was der kühle, unbewegte Ausdruck in Hertels Gesicht besagte: Er wusste, dass Paul hinter sein Geheimnis gekommen war. Aus den klaren, blauen Augen des Pfarrers sprach eine ungeheure Entschiedenheit. Dieser Mann bereute nichts. Er war von der Richtigkeit seines Handelns überzeugt. Mit seiner aufrechten Körperhaltung und der starren Mimik gab er Paul zu verstehen, dass er sich ihm haushoch überlegen fühlte.
    Fink schien indes noch immer nichts von der angespannten Atmosphäre zu bemerken, die zwischen Paul und Pfarrer Hertel herrschte. Er bewegte seinen korpulenten Körper geschickt zwischen den Holzverstrebungen des Glockenstuhls hindurch, streckte den Arm aus und klopfte mit der Faust gegen eine der mächtigen, schwarzgrau angelaufenen Glocken. Ein dumpfer Ton erklang.
    Dann lächelte Fink seinem Kollegen zu. »Gut, dass wir uns wenigstens auf die unermüdliche Hilfe von dir verlassen können, mein lieber Gottfried. Du hast uns noch nie im Stich gelassen. Ohne deine genialen Grundstück-Deals wären wir finanziell längst am Ende. Du hast wirklich Großartiges geleistet.« Finks Augen leuchteten bewundernd. »Hast nach dem Krieg den Wiederaufbau unserer beiden Hauptkirchen vorangebracht. Weißt du noch, das Erinnerungsfoto, das dich bei der Einweihung der restaurierten Sebalduskirche Seite an Seite mit Bundespräsident Theodor Heuss zeigt. 1957, richtig? Und immer wieder hast du neue Geldquellen für uns erschlossen.« Fink lachte. »Ich will lieber gar nicht so genau wissen, wie du das immer gedeichselt hast.«
    »Andere wollen das aber sehr wohl.«
    Es war der erste Satz, den Pfarrer Hertel gesprochen hatte, seit Paul zu ihnen gestoßen war. Die Stimme des Pfarrers klang tief und sonor. Noch immer stand Paul wie angewurzelt im Gebälk des Glockenstuhls. Ihm wurde sehr kalt.
    »Was meinst du?« Fink ließ die Glocke los und kam wieder zu ihnen herunter. »Wer will etwas über unsere Finanzen wissen, Gottfried? Gibt es jetzt etwa auch noch Ärger mit dem Finanzamt?«, Fink blickte irritiert. »Aber du als Altpfarrer hast dich doch ohnehin aus den offiziellen Geschäften zurückgezogen. Dir kann niemand mehr an den Karren fahren!«
    »Stimmt.« Pfarrer Hertel nickte langsam. »Die Abwicklung des Franziskanerhof-Projekts war in der Tat meine letzte offizielle Amtshandlung. Für mich ist es an der Zeit abzutreten.«
    »Das sagst du so leicht dahin«, grinste Fink, doch plötzlich gefror ihm das Lachen im Gesicht. Jetzt hatte auch er bemerkt, wie intensiv und aggressiv sich Paul und Hertel ansahen. »Was . . . – was ist mit euch beiden los?«, fragte Fink in
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