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Schwaben-Hass

Schwaben-Hass

Titel: Schwaben-Hass
Autoren: Klaus Wanninger
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1. Kapitel
    Der große, dunkle Wagen kroch langsam um die Ecke, passierte das durch einen löchrigen, zerfledderten Zaun nur notdürftig abgegrenzte Areal eines alten, brach liegenden Industriebetriebes, schob sich im Schritttempo auf die am Straßenrand spielende Gruppe junger Mädchen zu. Die Fahrbahn war übersät mit Schlaglöchern, spitzkantigen, aus dem Pflaster gerissenen Steinbrocken, Glassplittern, Plastikflaschen, Getränkedosen. Ihr Zerfall war ebenso wenig zu übersehen wie der der Häuser auf der linken Seite der Straße – zerschundene, seit Jahrzehnten nicht mehr erneuerte Fassaden, von Wind und Wetter, Abgasen und Schmutz gezeichnet. Wolken von Qualm und Ruß hingen in der Luft, ein stickiges Gemisch von Benzinschwaden, Dieselruß und Braunkohlerauch machte jeden Atemzug zur Qual.
    Als das große, dunkle Auto die Kinder erreicht hatte, beendeten sie abrupt ihr Spielen, richteten sich auf, starrten mit ängstlichen Augen zu dem Fahrzeug. Der Wagen stoppte unmittelbar neben den Mädchen.
    Oben, aus einem der Häuser, bellte eine tiefe Männerstimme. Die Kinder sprangen auf, stellten sich wie Soldaten beim Appell nebeneinander in Position. Fast alle trugen auffallend enge Blusen, kurze Hosen, schmale, hochhackige Schuhe. Ein mit einem Muskel-T-Shirt gekleideter Mann trat aus dem Haus, blickte, eine qualmende Zigarette und eine Bierdose in der Hand, ins Innere des Autos. Die Kinder blieben fast regungslos stehen, warteten auf einen neuen Befehl.
    Die Person in dem Fahrzeug ließ sich Zeit. Ein Hund bellte irgendwo am anderen Ende der Straße, lautes Schreien scholl aus einem der Häuser. Motoren verschiedener Fahrzeuge heulten auf. Plötzlich wurde die Tür des Autos von innen geöffnet, ein männliches Gesicht schob sich für einen Moment – im Halbschatten zwar, doch deutlich sichtbar – ins Tageslicht, den ausgestreckten Arm auf eines der Mädchen gerichtet. Zwei große Geldscheine wechselten den Besitzer, dann verschwand das Kind im Inneren des Wagens.
    Die Frau stand hinter dem Vorhang des erhöht gelegenen Hauses und verfolgte das Geschehen auf der Straße mit ihrer Kamera.
    Das langsam um die Ecke kriechende Fahrzeug. Klick. Die unmittelbar vor dem Auto spielende Gruppe der Kinder. Klick. Die von Schlaglöchern und Glassplittern, Pflastersteinen und Plastikflaschen übersäte Fahrbahn. Klick. Die in hautenge Blusen gekleideten, mit ultrakurzen, die halben Pobacken entblößenden Höschen und hochhackigen Schuhen in Reih und Glied am Straßenrand aufgestellten Mädchen, das große dunkle Fahrzeug im Blick. 10-, 11-, 12-jährige Kinder, von Drogen gezeichnet, die Arme von Einstichen übersät. Klick. Der im Muskel-T-Shirt mit qualmender Zigarette und Bierdose bewaffnete Mann. Klick. Die geöffnete Tür des Fahrzeugs, der daraus hervorgestreckte Arm. Klick. Das Gesicht des Mannes, das für den Bruchteil einer Sekunde …
    Die Fotografin starrte überrascht in die Kamera, drückte impulsiv auf den Auslöser. Das starke Teleobjektiv ließ die Entfernung vergessen. Sie überprüfte das Motiv auf dem Bildschirm der digitalen Kamera, konzentrierte sich auf die Person in dem Fahrzeug, die sie jetzt ganz nah vor sich sah.
    Die Gesichtszüge des Mannes waren deutlich zu erkennen, genau, fast bis in alle Einzelheiten. Er war es, ohne jeden Zweifel. Sie war sich absolut sicher. Oft genug schon hatte sie ihn in Zeitungen oder im Fernsehen erblickt.
    Die Fotografin drückte auf den Auslöser, fixierte das Fahrzeug in allen Positionen.
    Die Geldscheine in der Hand des Mannes. Klick. Das in das Auto geschobene Mädchen. Klick. Der Stern auf der Kühlerhaube. Klick. Das für den Bruchteil einer Sekunde teilweise sichtbare Kennzeichen des Wagens. Klick. Das mit kreischenden Rädern über die holprige Straße davon jagende Auto. Klick.
    Die Fotografin ahnte, dass heute ein besonderer Tag war. Was sie in den letzten Sekunden mit eigenen Augen verfolgt und mit ihrer Kamera dokumentiert hatte, würde nicht ohne Folgen bleiben. Nicht für sie und ganz besonders nicht für ihn …
    Sie starrte sekundenlang in die Richtung des verschwundenen Mercedes und spürte instinktiv, dass ihr Aufenthalt in dem schmuddeligen Haus fürs Erste beendet war. Sie hatte das baufällige, renovierungsbedürftige Anwesen über einen tschechischen Strohmann für eine – gemessen an deutschen Verhältnissen – lächerlich geringe Summe ein halbes Jahr im Voraus gemietet, in der Hoffnung, Einblick in die florierende Szene in Cheb zu
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