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Schwaben-Hass

Schwaben-Hass

Titel: Schwaben-Hass
Autoren: Klaus Wanninger
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Schlucken. »Sie verstehen, was ich meine?«
    Braig nahm seine Tasse, überlegte. »Ich glaube, ja.«
    »Verwahrlosung, Rücksichtslosigkeit, Zerstörungswut. Auf wen treffen diese Eigenschaften zu? Auf jugendliche Graffitisprayer, übermütige Scheibenzerkratzer, ungehobelte 18-Jährige, die lauthals rülpsen, ihre Schuhe auf Nachbars Sitzplatz drücken und sich dabei auch noch besonders toll vorkommen?« Der Oberstaatsanwalt stellte seinen Earl Grey zurück, schüttelte heftig seinen Kopf.
    »Oder auf eine Generation Erwachsener, die sich damit eingerichtet hat, dass jeden Tag in diesem Land unzählige Menschenleben geopfert werden, damit sie völlig unbekümmert ihre wunderschönen Autos spazieren fahren können? Wer ist verwahrlost, rücksichtslos, voller Zerstörungswut? Kämpfen wir nicht an der falschen Stelle?«

51. Kapitel
    Katrin Neundorf hatte sich in Schale geworfen. Eine moderne dunkle Hose, eine weiße Bluse, dazu eine schwarze Jacke. Und die Perücke. Kurze schwarze Haare.
    Ihre Mutter hatte Schwierigkeiten, sie zu identifizieren. »Also, wenn ich dich so auf der Straße treffe … Ich glaube, ich werde grußlos an dir vorbeigehen.«
    Miriam Völlinger empfing sie in ihrem Anwesen mitten im Grünen am Rand von Herrenberg. Sie hatten das Treffen auf 16 Uhr datiert.
    Neundorf stellte sich vor, reichte der Frau die Hand. »Mein Name ist Schäfer«, sagte sie, »wir haben am Telefon miteinander gesprochen.«
    Miriam Völlinger betrachtete sie mit gesundem Misstrauen. Die Frau war um die Fünfzig, trug weiße Hosen, dazu ein dunkelblaues Hemd. Ihr Gesicht schien für die Jahreszeit überraschend sonnenverwöhnt; eine breitrandig eingefasste Brille baumelte an einer silbernen Kette über ihrer Brust.
    »Sie wissen, dass ich in Eile bin?«, fragte sie mit tiefer Stimme.
    Neundorf nickte. »Es geht schnell. Nur zwei, drei Minuten.«
    Miriam Völlinger führte sie in einen kleinen Vorraum, wo zwei Sofas aus dunklem Leder um einen runden Tisch gruppiert waren, bat sie, Platz zu nehmen.
    Neundorf setzte sich, legte drei Fotos vor sich auf den Tisch. »Ich wollte so fair sein, Ihnen zu zeigen, was Sie in den nächsten Tagen erwartet.« Sie beobachtete die Frau, wie sie die Bilder der Reihe nach aufmerksam studierte, dann, beim Letzten angelangt, sichtbar zusammenzuckte.
    »Wo ist das?«, fragte Miriam Völlinger mit schneidender Stimme.
    »In Cheb in Tschechien, nicht weit von der deutschen Grenze.«
    »Sie haben selbst fotografiert?«
    Neundorf nickte mit dem Kopf. Wozu die Sache unnötig komplizierter machen? »Ich habe mir ein kleines Haus gemietet. Für sechs Monate.«
    »Wann war das?« Die Frau deutete auf die drei Fotos.
    »Im Februar. Vor sechs Wochen.«
    Miriam Völlinger zog ein weißes Tuch vor, wischte sich über die Stirn. »Seine Berlin-Tour, ja.« Sie sagte kein Wort des Zweifels, fragte nicht nach etwaigen Manipulationen, versuchte nicht, sie mit Geld zu kaufen.
    Sie traut es ihm zu, überlegte Neundorf, weiß insgeheim vielleicht sogar darüber bescheid.
    »Das ist alles?«
    »Ich wollte Ihnen nur zeigen, was …«
    Miriam Völlinger fiel ihr unwirsch ins Wort, erhob sich. »Ja, das sagten Sie bereits.« Sie zeigte auf die Bilder. »Nehmen Sie den Dreck wieder mit.« Sie sagte es nicht fragend, sondern auffordernd, bestimmend.
    Neundorf erhob sich ebenfalls, steckte die Fotos ein. »Es tut mir Leid.« Sie lief in die Diele.
    »Sie brauchen sich nicht zu verstellen. Es tut Ihnen nicht Leid. Wieso auch?« Miriam Völlinger schritt aufrecht zur Tür, war im Begriff, sie zu öffnen. »Wer so etwas tut, verdient kein Mitleid. Auch wenn es vielleicht eine Art Krankheit ist.«
    Neundorf blieb stehen, schwieg.
    »Wie viel verdienen Sie daran?« Das Gesicht der Frau war bleich, schien die künstliche Sonnenbräune verloren zu haben. Sie öffnete die Tür.
    »Um Gottes Willen, nichts«, erschrak Neundorf, »ich bin Journalistin aus Passion. Ich mag es nicht, wenn Wehrlose zum Opfer werden.«
    Die hasserfüllten Augen Miriam Völlingers blieben ihr lange in Erinnerung.

52. Kapitel
    Am Freitag Nachmittag fuhr Braig wieder zu seiner Mutter ins Städtische Krankenhaus. Mannheims Luft war frühlingshaft mild, von Autoabgasen und dem Duft zur vollen Blüte aufgebrochener Blumen erfüllt. Er hatte sich im Zug für eine halbe Stunde zurückgelegt, war eingeschlafen, gerade noch rechtzeitig vor der Einfahrt in den Mannheimer Bahnhof aufgewacht.
    Braig durchquerte die Bahnhofshalle, lief am Zeitungsstand vorbei.
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