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Schwaben-Hass

Schwaben-Hass

Titel: Schwaben-Hass
Autoren: Klaus Wanninger
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erlangen. Wochenlang hatte sie es sich angetan, das widerliche Geschacher um die Körper gerade dem Grundschulalter entwachsener Kinder mit ihrer Kamera zu verfolgen, den Finger ständig auf dem Auslöser, die Augen hinter dem Sucher, den Ekel über die krankhaften Auswüchse dieser Welt in ihrer Seele.
    Geldscheine gegen Kinderfleisch, Tag für Tag dasselbe Programm: Kranke, lüsterne Wesen auf der einen, profitgierige, in sozialem Elend Verkommene auf der anderen Seite. Dazwischen die Kinder – Opfer einer verdorbenen Gesellschaft.
    Manchmal hatte sie geglaubt, es nicht länger aushalten, das menschenverachtende Geschehen auf der Straße nicht länger ertragen zu können. Mehrfach war sie nahe daran gewesen, alles hinzuwerfen und ihren Aufenthalt in der kleinen Stadt zu beenden. Erst in letzter Sekunde hatte sie sich dann wieder aufgerafft, das Einzige zu tun, womit sie dazu beitragen konnte, das Unrecht auf der Straße zu beenden: Eine Dokumentation des alltäglichen Grauens mit einer Kamera, um wenigstens einige der widerlichen Gestalten aus ihrer Anonymität zu reißen und sie zu überführen.
    Wie es schien, war ihr dies heute gelungen. Sie musste zurück, die Bilder auswerten und sie Zeitungen zur Veröffentlichung anbieten.
    Claudia Steidle öffnete die Kamera, entnahm ihr den Chip. Die Straße unter ihrem Fenster war leer, das Auto des Mannes verschwunden. Wahrscheinlich war er schon dabei, sich irgendwo in einer billigen Absteige mit dem Kind zu vergnügen. Anonym und ohne das Wissen anderer. Von den Fotos, die seine perversen Neigungen belegten, wusste zu diesem Zeitpunkt nur eine einzige Person.

2. Kapitel
    Harry Nuhr lehnte in dem wackligen Metallstuhl vor der prächtig restaurierten Fachwerkfassade des Alten Rathauses in der Fußgängerzone von Winnenden. Die unter freiem Himmel bereitstehenden Stühle und Tische des nach dem Gebäude benannten Restaurants waren an diesem Vorfrühlingstag bis auf den letzten Platz besetzt, ebenso das wenige Meter weiter auf der anderen Seite der Marktstraße aufgestellte Mobiliar des Café am Markt, Ulli ’s Café und das der Bäckerei Haag.
    Die erst vor wenigen Jahren neu hergerichtete, mit alten Pflastersteinen, zierlichen Büschen und Bäumen sowie blühenden Pflanzen dekorierte Fußgängerzone der kleinen Stadt bot ein stimmungsvolles Bild. Junge Mädchen und Burschen flanierten in knall-farbigen T-Shirts, Handy-bewaffnet, lachend die alte Straße auf und ab, bleiche, noch von den kalten Wintermonaten gezeichnete Mütter nutzten die ersten warmen Stunden des jungen Jahres, ihren Nachwuchs durch die frische Luft zu schaukeln. Ältere Menschen standen in Gruppen zusammen, Jacketts über dem Arm, und tauschten aktuelle Neuigkeiten aus. Vom nahen Marktbrunnen her drang das gleichmäßige Plätschern mehrerer Wasserläufe; Justitia, die Dame mit der Waage, thronte sauber herausgeputzt in mehreren Metern Höhe auf einem mächtigen Steinsockel weit über dem Wasser.
    Harry Nuhr nippte an seiner Tasse, prüfte den Geschmack. Die Mischung aus Kaffee, Milch und Zucker stimmte. Genau so, wie er es liebte. Er inhalierte genießerisch den Duft des Kaffees. Es war lange her, als er die kleine Stadt zum letzten Mal besucht hatte.
    In seinem rotgestreiften T-Shirt, schwarzen, an den Knien leicht ausgebeulten Jeans und hellbraunen luftigen Sandalen wirkte er wie ein lässiger, den warmen Frühlingstag genießender Student, der dem Leben seine angenehmen Seiten abzugewinnen weiß. Die kleine, eher modisch als zweckdienlich wirkende Nickelbrille unterstrich diesen Eindruck. Lediglich das schüttere, im Bereich des Hinterkopfes schon leicht ergraute 10
    Haar und sein hageres, faltenreiches Gesicht wiesen darauf hin, dass er die Vierzig schon seit ein paar Jährchen überschritten hatte.
    Harry Nuhr arbeitete seit dem Ende seines Psychologiestudiums als Journalist – nicht, wie Kritiker seiner Zunft manchmal süffisant polemisierten, aus der Verlegenheit heraus, den ursprünglich angestrebten Beruf durch widrige Umstände verfehlt und deshalb nach einer Ersatzlösung gesucht zu haben, sondern aus Überzeugung und im Bewusstsein, die von Anfang an gewünschte Betätigung gefunden zu haben. Zuerst hatte er ein Volontariat bei einer kleinen Regionalzeitung im Hessischen absolviert, dann zwei Jahre bei einem anderen Blatt unweit seiner Ausbildungsstelle über sich ergehen lassen – mit fast ununterbrochener Wochenend-Präsenz bei den Taubenzüchter- und Gartenbauvereinen des
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