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Das Herz der Puppe

Das Herz der Puppe

Titel: Das Herz der Puppe
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Das klare Glück
an einem trüben Tag
    Es war ein trüber Samstag im Frühjahr, als diese unglaubliche geschichte so harmlos anfing. Der Morgen hätte auch zu einem verirrten Novembertag gehören können. Der graue Himmel konnte die schweren Wolken kaum noch tragen. Sie hingen so tief, dass sie schon fast die Häuser berührten. Alles war grau: Erde und Himmel. Sogar Ninas Vater und Mutter sahen auf einmal irgendwie grau aus.
     
    Nina stand am Fenster und schaute zum Stadtpark hinüber, dessen Bäume schon seit einer Woche Tag für Tag mit Regenwasser gewaschen wurden. Viele ihrer Blüten fielen zu Boden, nachdem sie lange vergeblich auf die Bienen gewartet hatten. Aber welche Biene war schon so verrückt und flog bei dem Wetter in der gegend herum? Auch die Bienen blieben lieber in ihren warmen Behausungen und überließen die Blüten ihrem nassen Schicksal.
    Vom dritten Stock, wo Nina wohnte, konnte sie auch viele Häuser sehen. Die Balkone, die an Schönwettertagen so bunt und lebendig waren, wirkten jetzt traurig und einsam. Wie verlassen standen die Häuser da, als wären sie nur ein Haufen nasser Steine. In einigen Häusern brannte sogar Licht, obwohl es schon lange Tag war.
    Zu Julian durfte Nina nicht gehen. Er hatte Fieber und lag im Bett, und seine Mutter sagte, seine Krankheit sei ansteckend. Mit Julian war Nina seit dem Kindergarten befreundet. Aber dann waren sie in diese komische gegend gezogen, und Nina musste in eine andere Schule gehen. Seither sah sie Julian kaum noch. Manchmal hatten seine Eltern keine Lust, die Kinder hin und her zu fahren, und manchmal ihre. Jetzt war er also auch noch krank. In Ninas Klasse hatten auch viele Kinder Schnupfen. Den kleinen Lukas hatte sogar eine schwere Lungenentzündung erwischt, und er lag im Krankenhaus.
    Ohne Freunde ist graues Wetter noch grauer, dachte Nina, als sie in die Küche ging, wo ihre Eltern noch beim Frühstück saßen.
    »Ganz in der Nähe ist ein Flohmarkt«, sagte der Vater, der aus purer Langeweile in einem der Werbeblättchen blätterte, die immer kostenlos im Briefkasten steckten und die er »Käseblätter« nannte.
    »Ach, das wäre doch was!«, rief die Mutter. Sie war froh über die rettende Idee für den trüben Tag.
    Nina ging gern auf Flohmärkte. Das Suchen war spannend. Wonach? Tja, das wusste Nina selbst nicht so genau. Wenn ihre Mutter sie fragte, sagte sie immer: »Mal sehen. Vielleicht finde ich es ja.« Auf dem Flohmarkt eilte sie von Tisch zu Tisch und von Kiste zu Kiste. Am liebsten suchte sie unter den Tischen, dort, wo Erwachsene meistens gar nicht hinsahen. Da lagen die spannenden Sachen für Kinder.
    Nina war schon mindestens zehn Mal auf Flohmärkten gewesen. Sie hatte schon eine Holzlokomotive, ein kleines Schaukelpferd, eine Puppenküche und einen Trompeter aus Holz erstanden. Der Trompeter war bisher der schönste Fund und hatte einen besonderen Platz auf dem Fenstersims in Ninas Zimmer. Er spielte eine Melodie, wenn man ihn hochhob. In letzter Zeit war er allerdings alt geworden und irgendwie durcheinander. Er spielte manchmal, ohne dass man ihn berührte, und blieb dafür stumm, wenn man ihn bewegte. Die Eltern waren überzeugt, dass er kaputt war. Dabei war der Herr Trompeter, wie Nina ihn nannte, nur ein bisschen launisch. Die Eltern lachten, wenn Nina es ihnen erklärte.
    Ninas Eltern kauften ihr alles, was sie sich wünschte, und auf dem Nachhauseweg fragte ihr Vater manchmal beiläufig: »Na, hast du gefunden, was du gesucht hast?«
    Und Nina überlegte jedes Mal kurz und sagte dann: »Nein, eigentlich noch nicht.«
     
    Als sie diesmal auf dem Flohmarkt ankamen, hörte gerade der Regen auf. Es war zwar immer noch kalt und grau, aber man konnte wenigstens herumstöbern, ohne nass zu werden. Der Flohmarkt fand auf einem großen Parkplatz statt und war riesig. Ninas Eltern machten sich auf die Suche nach einer alten Lampe, die zum Bauernschrank im Wohnzimmer passen sollte, und Nina blieb ein paar Schritte hinter ihnen. Nicht lange, da entdeckte sie ein hölzernes Krokodil, dem der Unterkiefer herunterhing. Es sah aus, als würde es lachen. Aber das Krokodil jammerte.
     
     
     
    »Ein Himmelreich! Ein Fischteich für einen Zahnarzt! Ich brauche einen Zahnarzt, einen mutigen Zahnarzt«, hörte Nina es sagen.
    »Warum denn einen mutigen?«, fragte sie leise.
    »Weil alle Zahnärzte, die bisher vorbeikamen, Angst hatten, ich könnte ihnen den Arm abbeißen«, antwortete das Krokodil und lachte jetzt doch, dass sein
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