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Schwaben-Hass

Schwaben-Hass

Titel: Schwaben-Hass
Autoren: Klaus Wanninger
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Wortfetzen, Entsetzensschreie; Sirenen, irgendwo, erst weit entfernt, dann immer lauter anschwellend. Sirenen, aus verschiedenen Richtungen.
    Sie wusste, warum sie es getan hatten. Er oder sie, wer immer hinter dem Steuer des Autos saß. Sie allein wusste es.
    Sie waren hinter ihr her, hatten es auf sie abgesehen, wollten verhindern, dass sie ihr Projekt veröffentlichte. Denke daran, sobald du Verbindung zur Presse aufnimmst, stehst du auf unserer Abschussliste. Überlege dir genau jeden Schritt. Wir werden dich erwischen, du hast keine Chance. Du weißt doch genau, wie schnell das geht auf der Straße: Du läufst irgendwo und plötzlich rast ein Auto auf dich zu. Aus und vorbei. Ein Wort zu Journalisten und …
    War es nicht genau so gekommen?
    Ein heftiger Schwindelanfall ließ sie straucheln. Sie hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Ihr Kopf drohte zu zerspringen. Sie spürte stechende Schmerzen, die von der Brust bis hinunter in ihren Arm ausstrahlten.
    Ein kaltblütiger Mordanschlag, mitten in Winnenden, keine fünfundzwanzig Kilometer von Stuttgart entfernt? Nicht in New York, Los Angeles, Moskau oder Caracas, nicht einmal in Frankfurt oder Berlin, nein, hier in der süddeutschen Provinz? War sie in einen Kinofilm geraten oder in einen schlimmen unbegreifbaren Traum?
    Wo war Nuhr?
    »Ich bin Arzt«, hörte sie eine Stimme, »es ist sinnlos. Dieser Mann ist tot.«
    Immer noch halb in Trance, torkelte sie schwankend über die Terrasse. Gaffende Augenpaare, Neugierige an weit aufgerissenen Fenstern, hinter den Scheiben der benachbarten Läden, mitten in der Fußgängerzone.
    Nur weg von hier, arbeitete es in ihr, nur weg!
    Sie stieg über das Tohuwabohu, bewegte sich am Eingang des Restaurants vorbei, in Richtung Torturm. Unmittelbar neben ihr ein ganzer Pulk von Menschen, schimpfend und schreiend, auf den Boden starrend. Verena Litsche wollte sich durch die Menschenmenge winden, um den Platz zu verlassen, als ihr Blick auf den Boden fiel: Die Überreste eines Menschen.
    Ein rotgestreiftes T-Shirt, schwarze Jeans, an einem Fuß der Rest einer zerrissenen hellbraunen Sandale. Oben, am anderen Ende der Gestalt eine blutige zerquetschte Masse. Nur die schütteren, am Hinterkopf schon leicht ergrauten Haare waren noch heil.
    Nuhr!
     
    Das Zittern wanderte von den Kniekehlen durch ihren ganzen Körper, erfasste sie. Mühsam kämpfte sie sich durch die gaffende Menschenmenge.
    Du tust gut daran, auf deine Sicherheit zu achten, hatte Nuhr vor wenigen Minuten erklärt. Wenn die Lobby von deinen Plänen Wind bekommt, kann es ungemütlich werden. Die wehren sich gegen jede Veröffentlichung, garantiert. Schließlich wollen sie sich nicht ihre Geschäfte zerstören lassen. Es geht um Milliarden, Jahr für Jahr.
    Und dann hatten sie sich gewehrt. Und er war das Opfer. Das Letzte?
    Von der Mühltorstraße her schob sich ein Rettungswagen mit Blaulicht und Sirene in die Fußgängerzone hoch. Alle Augen gafften zu dem Fahrzeug.
    Verena Litsche begriff auf der Stelle, dass sie die Chance nutzen musste. Sie nahm alle Kraft zusammen, kämpfte sich durch die dicht gedrängte Menge, rannte auf den Torturm zu. Menschen eilten der Terrasse des Alten Rathauses zu. Neugier prägte die Gesichter.
    »Ich werde Sie bei der Polizei anzeigen«, hatte sie mehrfach gedroht, wenn sie wieder ihren telefonischen Terror ausübten.
    Gelächter, höhnisches, spöttisches Gelächter. »Versuche es ruhig«, war die Antwort, wann immer sie gekontert hatte, »am besten gleich, jetzt sofort. Glaubst du wirklich, die helfen dir? Liebe Frau, wie naiv bist du? Begreifst du nicht, wie viele Interessen hier im Spiel sind? Du pokerst hoch. Du allein gegen das halbe Land. Du hast keine Chance. Gib auf. Lass dein Projekt und gönne dir noch was vom Leben, bevor es zu spät ist.«
    Verena Litsche rannte mit pfeifender Lunge durch den Torturm, die restliche Fußgängerzone entlang, dann in die Unterführung der Bundesstraße. Als sie sich dem Bahnhofsvorplatz näherte, sah sie von Backnang her eine S-Bahn in den Bahnhof einfahren. Sie jagte die Treppen hinunter, dann wieder hinauf, schaffte es in letzter Sekunde, sich in den abfahrbereiten Zug zu werfen. Die Türen schlossen sich unmittelbar hinter ihr. Ihr ganzer Körper schlackerte, als sie sich in der letzten Sitzgruppe des Wagens in ein hartes Polster drückte.

3. Kapitel
    Der Ärger begann auf der Rückfahrt vom Tatort. Steffen Braig, Kommissar beim Stuttgarter Landeskriminalamt, überließ nach
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