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Schwaben-Hass

Schwaben-Hass

Titel: Schwaben-Hass
Autoren: Klaus Wanninger
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Landkreises. Zu einer vollen beruflichen Entfaltung hatte er erst während seiner Tätigkeit in der Redaktion einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift und dann später im Team der Winnender Zeitung gefunden, seinem einzigen, aus einer Zufallsbegegnung erwachsenen, dann jedoch mehrere Jahre währenden Ausflug in schwäbische Gefilde, eine Zeit, die er heute als äußerst konstruktiv und belebend für seinen weiteren Lebensweg empfand. Nebenbei hatte er sich mit kritischen Berichten aus der Provinz – veröffentlicht in verschiedenen überregionalen Blättern – einen Namen gemacht.
    Immer noch auf dem Sprung, etwas Neues zu wagen, war es ihm anschließend nach mehrmonatigen Bemühungen geglückt, bei der Berliner tageszeitung unterzukommen, jener selbst verwalteten Alternativpresse, deren Markenzeichen sowohl gründlich recherchierte Informationen außerhalb des konventionellen Meinungsbreis als auch jahrelanges Entlangschlittern am Abgrund wirtschaftlichen Bankrotts waren. Vermehrter Arbeitseinsatz bei drastisch reduziertem Gehalt prägte den Alltag aller Mitarbeiter, den Harry Nuhrs nicht ausgenommen. Zwar bedeutete für ihn das Engagement in Berlin die Erfüllung seines wichtigsten Studententraums, doch verhinderte das jahrelange Vegetieren knapp über dem Existenzminimum die Zementierung dieses Zustands. So kam Nuhr nach acht Jahren tageszeitung ein Karrieresprung gerade recht: Sofort nach seiner ersten vorsichtigen Anfrage öffnete sich für ihn die Tür zur politischen Redaktion des Stern. Ein drastischer Anstieg seines Gehalts erwartete ihn.
    Nuhr stellte seine Tasse zurück, betrachtete die Frau, die unruhig neben ihm auf ihrem Stuhl hin- und herrutschte.
    »Verstehst du jetzt, warum ich telefonisch nichts durchgeben konnte?«, fragte sie mit leiser Stimme. Verena Litsche kratzte sich nervös hinter ihrem rechten Ohr. Ihre Augen flatterten fahrig hin und her.
    Nuhr nickte, fuhr sich mit der Hand über sein stoppeliges Kinn. »Seit wann arbeitest du daran?«
    Die Frau trommelte mit ihren Fingern auf dem Tisch, sah sich unruhig um. »Seit einem halben Jahr. Das Material umfasst mehrere Aktenordner.« Sie schwieg, betrachtete mit weit aufgerissenen Augen den Mann, der an den Nachbartisch getreten war, um sich dort auf einem erst vor wenigen Minuten freigewordenen Platz niederzulassen. »Außerdem unzählige Disketten«, setzte sie mit gedämpfter Stimme hinzu.
    Nuhr beobachtete sie, wie sie ihr Glas an den Mund führte und trank. Ihre Hand zitterte, die Flüssigkeit schwappte über den Rand.
    Verena Litsche wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Sie saß klein und schmal auf dem Stuhl und wackelte mit den Beinen – ein deutliches Zeichen ihrer Anspannung. Die blonden Haare hingen strähnig in die Stirn, ein breiter, silbrig glänzender Ring baumelte – fast ununterbrochen in Bewegung – am rechten Ohr. Das weite dunkelblaue T-Shirt hing schlabbrig, in breiten Falten um ihren Oberkörper, unterstrich ihr dürres Aussehen. Verena Litsche war nur noch ein Schatten ihrer selbst.
    Harry Nuhr kannte sie seit ihrer Mitarbeit bei der tageszeitung vor mehreren Jahren. Ausgebildet als Gymnasiallehrerin hatte sie nach dem Englisch- und Germanistikstudium und dem darauf folgenden Referendariat keine Anstellung gefunden und sich dann als freie Journalistin durchgeschlagen – mit dem Ruf, absolut gründlich und objektiv zu arbeiten. Irgendwann, Anfang der Neunziger, war sie aus privaten Gründen bei der tageszeitung ausgeschieden. Ihr Kontakt war abgebrochen – bis zu ihrem Anruf in der letzten Woche.
    »Du hast sie hier?«
    Verena Litsche schüttelte den Kopf. Ihr Gesicht bewegte sich hastig hin und her, die Augen flackerten nervös zu dem neuen Gast nebenan.
    »Das wäre zu gefährlich«, zischte sie, »ich habe Angst, dass sie eine Veröffentlichung verhindern wollen.«
    Harry Nuhr schlürfte genießerisch seinen Kaffee, betrachtete den Kellner, der die Bestellung am Nachbartisch entgegennahm.
    »Es existieren Kopien«, flüsterte die Frau, »komplett von allem. Ich habe sie bei Freunden deponiert, für den Fall …«
    Er nickte, setzte seine Tasse ab. »Das ist vernünftig«, bestätigte er, »ich könnte mir vorstellen, dass du gut daran tust, auf deine Sicherheit zu achten. Wenn die Lobby von deinen Plänen Wind bekommt, kann es ungemütlich werden. Die wehren sich gegen jede Veröffentlichung, garantiert. Schließlich wollen sie sich nicht ihre Geschäfte zerstören lassen. Es geht um zig Milliarden,
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