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Sommertochter

Sommertochter

Titel: Sommertochter
Autoren: Seydlitz Lisa Maria
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MEIN VATER SOLL HEUTE zurückkommen. Seit einer Stunde warten wir zwischen Sonnenblumen und Fingerhut im
Garten. Meine Mutter läuft Schleifen im Gras und tritt mit den Sandalen
auf herabgefallene Kirschen, rote, ungleichmäßige Schlieren zeichnen ihre
Knöchel. Immer wieder geht sie die Treppe hinauf zum Haus, bleibt im Türrahmen
stehen und horcht, ob das Telefon klingelt. Die Eiswürfel in der Glaskaraffe
auf dem Gartentisch sind längst geschmolzen. Meine Mutter hat mich gekämmt und
mir die Haare streng nach hinten gebunden, der frisch geschnittene Pony klebt
an meiner Stirn. Meine Mutter hat neue Kleider gekauft, rot mit gelben Punkten
für mich, für sie in weiß. Abends nach der Arbeit war sie noch in der Stadt,
suchte das Richtige für heute. Sie streicht ihr Kleid glatt und schaut zu mir
herüber. Ich sitze am Tisch, spiele mit den Raupen. Daumen und Zeigefinger
bilden rechte Winkel, für die Raupen gibt es kein Entkommen.
    Meine Mutter und ich halten Ausschau, blicken über das Feld, das
direkt hinter unserem Garten beginnt, aber noch ist da nichts, kein Windstoß,
keine Bewegung, kein Auto. Ein paar Mal gehe ich zum Tor, klettere auf den
Pfahl, lege die flache Hand an die Stirn, so wie Seefahrer es tun. »Wir hätten
ihn abholen sollen«, sagt meine Mutter, die Arme in die Seite gestemmt,
Schweißperlen laufen ihr über die Stirn, »wir hätten ihn abholen sollen«, sie
wiederholt den Satz, »wir hätten mit dem Zug zu ihm fahren und ihn mitnehmen
sollen.« Sie zieht mit den Händen mein Kleid glatt, klopft es ab, als hätte ich
mich dreckig gemacht.
    Â 
    Der Himmel ist noch immer strahlend blau, als der Kombi
durch das Tor fährt und in den Schotterweg einbiegt. Alle Scheiben sind
heruntergekurbelt, Vaters Ellenbogen ragt durch das Fenster.
    Die Tür geht auf. Mein Vater steigt aus und ich renne los. Er
breitet die Arme aus. »Hallo«, rufe ich, und dann klebe ich an seiner Brust,
»endlich bist du wieder da.« Ich spüre, wie er nickt, seine Wange an meiner
Wange. Ich schließe kurz die Augen und atme seinen Geruch ein, den ich so
vermisst habe. Er hält mich von sich weg, schaut mich an. »Na«, sagt er. Meine
Mutter kommt und öffnet den Kofferraum, nimmt die Ledertaschen, und als mein Vater
mich auf dem Boden absetzt, steht meine Mutter neben uns und gibt ihm einen
Kuss auf die Wange. »Endlich«, sagt sie und umarmt ihn. Ich umrunde das Auto,
im Kofferraum steht ein Blumentopf. Die Blütenköpfe hängen hellblau und satt am
Stängel. Ich klettere in den Kofferraum, Sandkörner drücken sich in meine Knie,
erst ziehe ich am Topf, dann schiebe ich ihn, Erde tritt über den Rand wie
Wasser, das überkocht. Sie bedeckt die Kofferraummatte, und mit einem Mal kippt
der Topf. Ein dumpfes Geräusch und er liegt auf dem Boden, zwei Teile, ein
sauberer Schnitt. Meine Eltern drehen sich um, mein Vater starrt auf die Blume,
meine Mutter schüttelt den Kopf. »Das habe ich euch mitgebracht«, sagt er.
    Â 
    Wir lassen die Fenster den Tag über geschlossen, so
versuchen wir, die Hitze aus dem Haus auszusperren.
    Mein Vater läuft irritiert durch den Flur, sieht die neuen Bilder an
der Wand. Alles, was vorher dort hing, Poster von Ausstellungen, ein Kalender
und Fotografien von Landschaften, die auf ihren gemeinsamen Reisen vor meiner
Geburt entstanden, hat meine Mutter abgenommen und in den Müll geworfen. Die
letzten drei Sonntage klingelte ihr Wecker um sechs. Sie stand auf, band sich
die Haare zum Dutt und fuhr mit dem Fahrrad zu den Flohmärkten der Umgebung.
Sie war längst zurück, wenn ich aufstand, und hatte alte Rahmen und Bilder
mitgebracht. Später am Tag kniete sie auf der Terrasse, ein Tuch im Haar. Mit
einem Schwamm in der Hand putzte und polierte sie die Rahmen, grau gefärbtes
Wasser lief die Stufen zum Garten hinab.
    Im Wohnzimmer bleibt mein Vater stehen. Meine Mutter und ich haben
eine Wand frei geräumt und die Möbel in die Mitte des Raumes gerückt. Sie hat
helle Farben gekauft, weiß und beige, sie hat Malerrollen und Abtropfsiebe
bereitgestellt und Hüte aus Zeitungspapier gefaltet. Daneben hat sie Stoff und
Borten gelegt. Sie wolle Vorhänge nähen, sagt sie und schlingt die Arme um
Vaters Oberkörper. Sie habe sich die nächsten Tage frei genommen und zum ersten
Mal eine Aushilfe in der Buchhandlung eingestellt. Mein Vater fährt mit
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