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Das geheimnisvolle Gesicht

Das geheimnisvolle Gesicht

Titel: Das geheimnisvolle Gesicht
Autoren: Wolfgang Ecke
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Fünf Treppen und kein Fahrstuhl

    Es herrschte reger Betrieb an jenem Sonnabend im März, an dem diese Geschichte begann. Natürlich hatte sie in Wirklichkeit schon viel früher begonnen, doch das wußten am Sonnabend, dem 18. März 1972, nur einige wenige Beteiligte an dieser Geschichte. Nicht zu ihnen gehörte der alte Mann — er mochte so zwischen 65 und 70 Jahre alt sein — , der bedächtig die Bell-Street in Norwood entlangging. Er trug einen wadenlangen Lodenmantel, kräftige Schnürschuhe und auf dem Kopf eine Baskenmütze, unter der buschiges, schneeweißes Haar hervorlugte.
    Hin und wieder verharrte er, stützte sich während einer kleinen Verschnaufpause an einer Hauswand ab, einer Mülltonne, einmal auch an einem geparkten Auto. Sein Atem ging schwer, er litt zweifellos an Asthma.
    Als er das Ende der Bell Street erreicht hatte, zögerte er einen Augenblick lang, zupfte sich nachdenklich und überlegend am Ohr und bog schließlich rechts ab.
    „Nummer 20“, las er die Hausnummer murmelnd ab... „Nummer 18“... Er atmete auf, er hatte die richtige Seite der Straße gewählt... Seine Hand tastete zur Brust, so, als wolle oder müsse er dort unter dem Mantel etwas erfühlen. Er nickte und schien zufrieden.
    Nummer 14.
    Hier war es... Starplace Nr. 14.
    Der alte Mann schüttelte mißbilligend den Kopf, als er an der Fassade des alten, grauen, fünfstöckigen Steinklotzes hinaufsah. Eine Menge dunkler, schmutzigbrauner Stellen zeigte an, wo der Außenputz schon vor langer Zeit abgebröckelt war.
    Fünf Stockwerke...
    Er hatte bereits die Hand auf dem Türdrücker, als die Haustür von innen geöffnet wurde. Eine junge Frau, es war Susan Shetty, ließ ihn mit einem freundlichen Lächeln vorbei.
    Hier muß ein Mister Clifton wohnen“, schnaufte die heisere Stimme des Alten. Dabei zwinkerte er nervös mit dem rechten Augenlid.
    „Im 4. Stock, Sir! Wir haben leider keinen Fahrstuhl.“ Fast traurig erwiderte der Weißhaarige: „Danke... Ich habe es geahnt... ich habe nie Glück, Miß. Nie...“ Er kehrte Susan Shetty den Rücken und begann Stufe um Stufe nach oben zu steigen. Auf jedem Treppenabsatz ruhte er sich einige Minuten aus.
    Als er endlich vor der Tür mit dem Schild PERRY CLIFTON stand, war es längst 16 Uhr vorbei.
    Seine Rechte fuhr unter den Mantel und förderte einen Brief zutage. Dann drückte er auf den Knopf...
    Er wartete genau zwanzig Sekunden, bevor er den schwarzen Knopf ein zweites Mal hineindrückte. Diesmal ließ er den Zeigefinger ein paar Atemzüge länger darauf...
    Ein dritter Versuch...
    Vielleicht schlief dieser Mister Clifton?
    Die Vorstellung, er müsse diese verdammten fünf Stockwerke ein zweites Mal erklimmen, erweckte in dem alten Mann einen großen Zorn auf alles, was damit zu tun hatte.
    Doch da — ein Geräusch! Eine Tür öffnete sich. Aber es war die Tür zu seiner Linken.
    „Hallo!“ sagte ein junger Bengel zu ihm und lachte ihn dabei an, als sei es etwas Alltägliches, einem alten, asthmakranken Mann gegenüberzustehen. Einem, der sich seine karge Rente mit Botengängen aufbessem mußte. „Wenn Sie zu Mister Clifton wollen, der ist nicht da!“
    „Ach, was du nicht sagst!“ schnaufte der Alte ergrimmt und schob sich den kleinen Finger der rechten Hand unter die Baskenmütze. „Das hab ich inzwischen selbst gemerkt! Wann kommt er denn wieder?“
    „Zu mir hat er gesagt, daß er bis acht zurück sei!“ Der Alte glaubte sich verhört zu haben. Er streckte den Kopf vor. „Bis wann?“
    „Bis acht!“
    „Ich hab eben immer Pech...“ Dabei schüttelte der Alte den Kopf und gebrauchte dieselben Worte, die er wenig zuvor zu Susan Shetty gesagt: „Ich habe nie Glück.“ Doch plötzlich tippte er sich wütend vor die Brust und fluchte: „Verdammt will ich sein, wenn ich diesen Job noch weiter mache!“
    Dicki Miller überlegte, wie er dem alten Mann helfen könnte.
    „Wenn Sie wollen, Sir, kann ich ihm ja was ausrichten. Ich bin sein Freund!“ Wieder schüttelte der Alte den Kopf. „Geht nicht... Leider! Ich habe nämlich nichts zum Ausrichten! Ich muß ihm einen Brief überbringen!“ Und als er Dickis Blick sah, fügte er rasch hinzu: „Persönlich!“
    „Sie können ihn doch in Mister Cliftons persönlichen Briefkasten werfen!“
    „Verstehst du denn nicht, junger Mann, ich werde dafür bezahlt, daß ich Nachrichten und Briefe persönlich überbringe!“
    „Dann müssen Sie eben noch einmal wiederkommen!“ gab Dicki schulterzuckend zurück. Er
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