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Schwaben-Hass

Schwaben-Hass

Titel: Schwaben-Hass
Autoren: Klaus Wanninger
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Fast alle Blätter hatten heute nur ein Thema. »Völlinger von eigener Ehefrau erschossen.«
    Achselzuckend war ihm Neundorf morgens im Amt begegnet. Zwei Tage vorher hatte sie ihm ihren Plan eröffnet. »Ich habe mich über seine Frau erkundigt. Die ist keine Memme. Der wird büßen. Ich hasse Schweine, die sich an Kindern vergreifen.«
    »Scheidung?«, hatte er gefragt.
    »Wenn sie sich damit zufrieden gibt.«
    Sie hatte sich nicht damit zufrieden gegeben, und war offensichtlich bereit, alle Konsequenzen zu tragen.
    »Es ist schön dort. Wunderschön. Alles ist hell, überall nur Sonne und Licht. Ein strahlend helles, leuchtendes Licht. Und alles voll bunter Farben. Kein Streit mehr, keine Eifersucht, kein Hass. Nur Wärme und Liebe, Freude und Licht. Überall.«
    Braigs Mutter hatte sofort wieder damit angefangen, ihn überfallen mit ihrem Erlebnis, kaum dass er in ihr Zimmer und an ihr Bett getreten war.
    »Die Musik dort, nur wunderbare Melodien. Überall, wo ich schwebte, Zauberklänge. Töne, so schön wie das Paradies. Ich freue mich für uns alle.«
    Er nahm ihre Hand, drückte sie, gab ihr einen Kuss.
    »Ich freue mich für uns alle«, wiederholte sie.
    »Ja, Mama, das ist wunderschön.«
    Gestern, am späten Abend, hatte er wieder Ann-Katrin Räuber im Backnanger Krankenhaus besucht, dabei ihre Mutter kennen gelernt.
    »Sie sind der Kommissar, der meiner Tochter das Leben gerettet hat?«
    Er sah die Sache immer noch genau anders herum, machte sich Vorwürfe, glaubte nicht an das heldenhafte Verhalten, das ihm von verschiedenen Seiten attestiert wurde.
    Die Frau hatte ihm lange und kräftig die Hand gedrückt, sich mit tränenden Augen bei ihm bedankt.
     
    »Die Luft war warm. Alles duftete, wie im Sommer. Das Aroma von Blumen und Kräutern erfüllte die ganze Welt. Und die Farben! Du kannst es dir nicht vorstellen, diese Farben. Ich wollte dort bleiben, wollte nicht zurück. Dort ist es schön, so wunderschön. Wann dürfen wir das endlich alle genießen?«
    Braig betrachtete das strahlende Gesicht seiner Mutter, wusste nicht, ob er sie bemitleiden oder ihr eher mit Neid begegnen sollte. Bemitleiden, weil sie einem neuen irrealen Tick verfallen war, der sie seiner Erfahrung nach einige Monate beschäftigen und voll in seinen Bann ziehen würde oder ihr mit Neid begegnen, weil sie angesichts ihres überwältigenden Erlebnisses anscheinend alle Sorgen dieser Welt vergessen hatte.
    »Diese Farben, diese intensiven Farben. Jede hatte einen eigenen wundervollen Ton. Alle Farben zusammen spielten eine herrliche, eine himmlische Melodie. Eine Musik wie im Paradies. Ja, ich war im Paradies. Du musst es erleben, mein Junge, unbedingt.«
    Im Moment war es Neid, purer Neid. Braig konnte sich nicht einfühlen in dieses schöne Paradies, diese Harmonie, dieses Glück. Vor seinen Augen lief ein anderer Film, lösten Bilder einander ab, die mit der Realität dieser Welt, dieser Gesellschaft zu tun hatten. Bilder, die sich nicht einfach von schönfärberischen Gedanken vertreiben ließen: Der hagere Verbrecher, mit seiner Waffe auf Ann-Katrin Räuber zielend. Das Stöhnen der jungen Frau, ihr auf dem Boden liegender Körper, ihr Blut.
    Hans Breidle, von seinem eigenen Auto überfahren, am Rand der Straße.
    Harry Nuhrs lebloser Körper mitten in Winnendens Fußgängerzone.
    Die Bilder des Kinderschänders in seinem Fahrzeug in Cheb, das Gesicht des Politikers, der mundtot gemacht werden sollte.
    Die Zahlen und Daten, die auf der Diskette gespeichert waren, die Tabelle, die Frau Litsche in mühevoller Arbeit recherchiert hatte, ihre Bedeutung.
     
    Mag sein, dass es dort, wo wir alle hingehen, überwältigend schön ist, mit bunten Farben, hellen Lichtern, himmlischen Melodien, überlegte Braig. Hier, wo wir jetzt leben, ist es eher das Gegenteil.
     
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