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Die Stunde der Hexen - Midnight Hour 4 - Roman

Titel: Die Stunde der Hexen - Midnight Hour 4 - Roman
Autoren: Heyne
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Eins
    Ich hasste den Geruch dieses Ortes: Beton und Anstalt. Desinfektionsmittel. Doch alles Putzen der Welt konnte nicht das Leid überdecken, die Bitterkeit, den leichten Uringeruch. Die Wut.
    Der Gefängniswärter an der Tür verwies Ben und mich auf zwei leere Stühle vor einem Tisch, der zwischen Trennwänden vor einer Glaswand stand. Es gab insgesamt sechs dieser Kabinen im Raum. Wir wären nur per Telefon mit der anderen Seite verbunden.
    Ich bebte am ganzen Körper. Gern kam ich nicht hierher. Na ja, einerseits schon, andererseits aber auch wieder nicht. Ich wollte ihn sehen, doch selbst nur als Be - sucherin hier hatte ich das Gefühl, gefangen zu sein. Die Wolfseite kam nicht allzu gut damit zurecht. Ben griff nach meiner Hand, zog sie unter den Tisch und drückte sie.
    »Alles in Ordnung?«, fragte er. Ben war bisher einmal pro Woche hergekommen, um Cormac zu besuchen. Ich kam nicht ganz so oft - einmal im Monat. Daran gewöhnen würde ich mich niemals. Ja, es schien sogar jedes Mal schwieriger zu werden, nicht leichter. Die Anspannung war so groß, dass meine bloße Anwesenheit hier mich schon erschöpfte.

    »Ich glaube schon«, sagte ich. »Aber dieser Ort macht mich nervös.«
    »Lass dir nicht anmerken, dass du aus der Fassung bist«, flüsterte er. »Wir wollen ihm schließlich eine Stütze sein.«
    »Ich weiß. Tut mir leid.« Ich hielt seine Hand mit meinen beiden umklammert und versuchte, nicht mehr zu zittern. Eigentlich sollte ich die Starke sein, diejenige, die Ben half sich zusammenzureißen, nicht umgekehrt.
    Auf der anderen Seite der gläsernen Trennwand ließ ein Wärter einen Mann in orangefarbenem Gefängnisoverall eintreten. Seine hellbraunen Haare waren kürzer als früher, sodass sein Gesicht hagerer wirkte. Ich versuchte mir einzureden, dass er nicht dünner geworden war. An seinem Schnurrbart hatte sich nichts geändert. An seiner stoisch gerunzelten Stirn ebenfalls nicht.
    Er setzte sich uns gegenüber, auf der anderen Seite der Glasscheibe. Mein Lächeln fühlte sich steif und aufgesetzt an. Ihm war bestimmt klar, dass es nicht echt war. Ich musste mich fröhlich geben, durfte ihn nicht sehen lassen, wie sehr ich durch den Wind war. Ben hatte Recht.
    Er trug Handschellen. Als er nach dem Telefon griff, um sich mit uns zu unterhalten, musste er beide Hände ans Gesicht heben. Ben hielt unseren Hörer zwischen uns. Wenn wir uns nahe genug darüberbeugten, konnten wir ihn beide verstehen.
    »Hey«, sagte Ben.
    »Hey.« Cormac lächelte. Es brach mir das Herz, ihn so hinter der Scheibe lächeln zu sehen. »Danke, dass ihr gekommen seid.«

    »Wie geht es dir?«
    Cormac zuckte mit den Schultern. »Geht schon. Keine Sorge.«
    Er war hier wegen Totschlags. Er hatte jemanden getötet, um mir das Leben zu retten, und jetzt saß er deswegen seine Strafe ab. Vier Jahre. Ich stand gewaltig bei ihm in der Schuld, was sich wie ein bleiernes Gewicht anfühlte.
    Wir hatten eigentlich noch Glück gehabt. Nur so konnten wir alle hier sitzen und einander anlächeln und daran denken, wie viel schlimmer es hätte kommen können. Einer oder alle von uns tot, Cormac auf Lebenszeit hier drin …
    Er schien mir nicht böse zu sein. Wahrscheinlich würde er nie erwähnen, dass ich in seiner Schuld stand. Von Anfang an hatte er diese Gefängnisstrafe als Möglichkeit gesehen, Buße zu tun, ganz so, wie er eigentlich sollte. Bloß ein weiteres Hindernis, das es zu nehmen galt, ein weiterer Fluss, den er zu überqueren hatte.
    Ben ging besser mit der Sache um als ich. »Brauchst du was? Abgesehen von einem Kuchen, in den eine Feile eingebacken ist?«
    »Nein. Nur immer das Gleiche.«
    Ich hatte ihm Bücher bestellt und ins Gefängnis schicken lassen, weil die Insassen keine Pakete von Privatbürgern bekommen durften. Es hatte als Witz angefangen, nachdem ich ihn einmal beschuldigt hatte, Analphabet zu sein. Doch dann war Ernst daraus geworden. Das Lesen lenkte ihn davon ab, dass er in der Falle saß. Es verhinderte, dass er den Verstand verlor.

    »Besondere Wünsche?«, fragte ich weiter, und Ben hielt die Sprechmuschel schräg, damit Cormac mich hören konnte.
    Cormac schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht wählerisch. Was du gut findest.«
    Wir hatten eine Stunde für Smalltalk - im wahrsten Sinne des Wortes, denn Großes ließ sich nicht besprechen. Ich konnte nicht sagen, dass es mir leidtat, denn das hätte mich aus der Fassung gebracht, und wir sollten ja fröhlich sein, durften das Gespräch nicht
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