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Silo 1: Roman (German Edition)

Silo 1: Roman (German Edition)

Titel: Silo 1: Roman (German Edition)
Autoren: Hugh Howey
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1. KAPITEL
    Die
Kinder spielten, als Holston in den Tod hinaufstieg. Er hörte sie kreischen,
wie nur glückliche Kinder es tun. Wild tobten sie dort oben umher, während er
ganz langsam die Wendeltreppe hinaufging, jeder Schritt bedacht und schwer,
seine alten Stiefel dröhnten auf den Stahlstufen.
    Die Stufen zeigten,
wie auch die Stiefel seines Vaters, deutliche Spuren der Abnutzung. Es klebten
Farbbläschen daran, vor allem in den Ecken und an der Unterseite, wo die Stufen
vor den Tritten geschützt waren. Der Verkehr weiter unten auf der Treppe
wirbelte kleine Staubwölkchen auf. Holston spürte die Vibrationen am Geländer,
das bis auf das glänzende Metall abgewetzt war. Das hatte ihn immer fasziniert – dass nackte Handflächen und schlurfende Füße massiven Stahl im Laufe der
Jahrhunderte tatsächlich abschleifen konnten. Molekül für Molekül, dachte er.
Jedes Leben schliff eine Schicht ab, während der Silo ebendieses Leben
schleifte.
    Die Stufen waren von
generationenlangem Verkehr durchgetreten, die Kante hing herab wie eine
schmollende Unterlippe. In der Mitte waren fast keine Spuren der kleinen Noppen
geblieben, die den Stufen einmal Trittsicherheit verliehen hatten. Man konnte
sie nur noch an den Seiten erahnen, wo kleine konische Erhebungen mit gezackten
Kanten und Farbspritzern aus dem flachen Stahl ragten.
    Holston setzte einen
Stiefel auf eine alte Stufe, er trat auf und wiederholte die Bewegung dann mit
dem anderen Bein. In Gedanken war er weiter bei diesen unzähligen Jahren:
Moleküle und Leben waren Schicht um Schicht zu feinem Staub zermahlen worden.
Und er dachte nicht zum ersten Mal, dass weder das Leben noch die Treppe für
diese Art von Existenz bestimmt waren. Die enge und lange Spirale, die sich
durch den unterirdischen Silo wand wie ein Strohhalm in einem Glas, war nicht
für eine derart massenhafte Benutzung gebaut worden. Wie der Großteil ihres
zylindrischen Heims schien die Treppe für andere Aufgaben gedacht, für Zwecke,
die lange vergessen waren. Was nun als Verkehrsachse für Tausende Leute diente,
die sich in täglichen, sich wiederholenden Spiralen hinauf- und
hinunterbewegten, schien in Holstons Augen eher für Notfälle und für lediglich
ein paar Dutzend Menschen geeignet zu sein.
    Holston ließ ein
weiteres Stockwerk hinter sich, in das man kuchenstückförmige Schlafsäle
eingeteilt hatte. Während er auf seinem allerletzten Gang die letzten Ebenen
hinaufstieg, drang der Klang kindlicher Ausgelassenheit   immer lauter zu ihm herab. Das Gelächter der
jungen Seelen, die noch kein Bewusstsein für ihren Lebensraum entwickelt
hatten, die noch nicht den Druck der Erde von allen Seiten spürten und in ihrer
Vorstellung nicht begraben, sondern einfach nur lebendig waren – ein
unbeschwertes Geträller, das so gar nicht zu Holstons Vorhaben passte, zu
seiner Entscheidung, nach draußen zu gehen.
    Eine einzelne junge
Stimme übertönte die anderen, als er sich der obersten Ebene näherte. Holston
erinnerte sich an seine Kindheit im Silo, an seine Schulzeit, die Spiele.
Damals war der stickige Betonsilo mit seinen vielen Stockwerken, mit den
Werkstätten, Hydrokulturgärten und dem Gewirr der Lüftungsrohre ein unermessliches
Universum gewesen, eine weite Welt, die man nie zur Gänze erkunden konnte, ein
Labyrinth, in dem er und seine Freunde sich für immer verirren konnten.
    Doch diese Zeiten
waren seit mehr als dreißig Jahren vorbei. Holston hatte das Gefühl, seine
Kindheit läge zwei, drei Leben zurück und gehöre zu jemand anderem. Nicht zu
ihm. Er war sein Leben lang Polizist gewesen, das wog schwer und blendete die
Vergangenheit aus. Außerdem hatte kürzlich ein dritter Lebensabschnitt begonnen – ein geheimes Leben nach seiner Kindheit und nach seiner Zeit als Polizist. Es
war die letzte Schicht seiner selbst, die zu Staub zerfallen war. Drei Jahre
lang hatte er still auf etwas gewartet, das niemals eintreten würde.
    Ganz oben glitt
Holstons Hand am Geländer ins Leere. Die geschwungene Stange aus abgewetztem
Stahl endete mit der Wendeltreppe, die sich in den größten Raum des ganzen
Silos öffnete – die Kantine und den angrenzenden Aufenthaltsraum. Holston war
nun auf einer Ebene mit den spielenden Kindern. Helle Gestalten flitzten kreuz
und quer zwischen den herumstehenden Stühlen umher und spielten Fangen. Ein
paar wenige Erwachsene versuchten, dem Chaos Herr zu werden. Holston sah, wie
Donna Kreide und Stifte von den fleckigen Bodenfliesen aufhob.
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