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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
Autoren: Robert Merle
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ERSTES KAPITEL
     
    Eines weiß ich mit Gewißheit: es stehet mit uns wie mit dem Meere, dessen Stille nur trügt. Darunter ist alles Bewegung, Unruhe, Aufruhr. Ebenso findet der Mensch keine Zufriedenheit, seine Seele keinen Frieden. Kaum ist er eines Glückes teilhaftig, verlangt es ihn nach einem anderen.
    Als ich Herrn de Montcalms Schloß verließ, war ich erfüllt von dem Glück, meinen Vater nach so langer Trennung wieder heil und gesund an meiner Seite zu wissen, erfüllt von der Freude, mich mit ihm auf den Weg nach Sarlat und meinem vielgeliebten Mespech zu begeben: das Herz schlug mir höher bei dem Gedanken an all seine Bewohner. Allein, meine Freude war nicht ungetrübt, und das Herz wurde mir immer wieder schwer, ließ ich doch Angelina de Montcalm und das ungewisse Glück zurück, welches wir uns geschworen und als dessen Unterpfand ich einen blaubesteinten Ring am linken kleinen Finger trug, welchselben sie mir im Erker des Ostturmes von Barbentane geschenkt.
    Als »ketzerischer« Hugenott und Zweitgeborener ohne Vermögen, so dachte ich, war es da nicht vermessen, eines Tages um ihre Hand anhalten zu wollen, falls sie, der ablehnenden Haltung Herrn de Montcalms nicht achtend, überhaupt zu warten gewillt war, bis ich in langen, mühevollen Jahren die Stufenleiter erklommen, den Doktortitel erworben und mich als Medicus niedergelassen, um endlich in der Lage zu sein, ihr eine Ehe entsprechend ihrem Stande und – wie ich dafürhalten möchte – auch entsprechend dem meinen zu bieten?
    Himmel! wie liebte ich sie! Und wie schrecklich, wie entmutigend war der Gedanke, sie zu verlieren. Denn welche Hoffnung verblieb mir – trotz all meines Glaubens an ihr gegebenes Wort – angesichts der Tyrannei eines Vaters, des quälenden Drängens einer Mutter, der Bedenken der Geliebten selbst, unverheiratet zu altern in schier endlosem Warten, dessen glückliches Ende nicht gewiß sein konnte in diesen unsicherenZeiten, da das Leben eines Mannes, gar eines Hugenotten, nicht schwerer wog als das eines Huhnes?
    Doch inmitten dieser dunklen Gedanken, die mir schier das Herz erdrückten, war es ein Labsal, mir im Geiste ihren graziösen, schmeichelnden Gang vorzustellen, den zärtlichen Blick ihrer großen glänzenden Augen, ihre bewundernswerte Herzensgüte. Wahrlich, dachte ich bei mir, du hast dich in deiner Wahl nicht geirrt: solange du auch suchen magst, du würdest in der ganzen Welt keine andere Frau finden, die soviel Herz mit soviel Schönheit vereint.
    Mein Vater hatte gewollt, daß wir den Weg über die Cevennen nahmen und also durch die Berge nach dem Périgord ritten, da er den zwar weiteren, aber bequemeren Weg über Carcassonne und Thoulouse als zu gefahrvoll erachtete. Nach dem Überraschungsangriff von Meaux, bei dem die Führer der Reformation, Condé und Coligny, um ein Haar den König gefangengenommen hatten, wütete nunmehr der Krieg im Königreich zwischen Hugenotten und Katholiken, und da sich die vorgenannten Städte in der Hand der Papisten befanden, hätte ihre Durchquerung Gefahr für unser Leben bedeutet, obgleich wir wohlbewaffnet waren. Doch mein Vater, die beiden Vettern Siorac, ich selbst, mein Halbbruder Samson, unser Diener Miroul, unser Gascogner Cabusse und der Steinbrecher Jonas, wir waren nur acht Mann: genug, sich der unterwegs im Hinterhalt lauernden Wegelagerer zu erwehren, aber zu wenig, um den Kampf mit den Kriegsmannen der königlichen Offiziere zu bestehen.
    In Sarlat und im ganzen Sarladischen Land hatten selbst die Papisten (außer den ärgsten Fanatikern) Achtung vor uns, da mein Vater ein königstreuer Hugenott war, der niemals den Degen gegen seinen König gezogen; zudem hatte er während der Pest die Stadt mit Lebensmitteln versorgt und sie danach von dem Schlächterbaron zu Lendrevie und seinen Erzbösewichtern befreit. Doch in Carcassonne und Thoulouse waren wir niemandem bekannt, und da jeder Hugenott in jener Zeit als Rebell galt, der sogleich zu ergreifen und abzuurteilen war, hätte das für uns den sicheren Tod bedeuten können.
    Sobald die Bergstraße für den Trab zu steil wurde, ließen wir unsere schweißbedeckten Rösser im Schritt gehen, und mein Vater, der jetzt an meiner Seite ritt und mich so nachdenklichsah, »schwarzen Gedanken nachhängend« (wie meine arme Fontanette gesagt hätte), ersuchte mich, ihm von meinem Leben als Scholar zu Montpellier zu berichten, doch in größeren Einzelheiten als in meinen Briefen und ohne etwas zu verblümen noch
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