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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
Autoren: Robert Merle
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hinwegzulassen.
    »Mein Herr Vater«, sagte ich, »so Ihr einen wahrhaftigen und ehrlichen Bericht wollet, lasset uns unserer Schar ein Stück vorausreiten. Aus Feingefühl möchte ich nicht von unseren Vettern Siorac oder unseren Leuten gehört werden und vor allem nicht von meinem vielgeliebten Bruder Samson, dessen Unschuld ich mit meinem Bericht allzusehr zu verletzen fürchte.«
    Worauf mein Vater, aus vollem Halse lachend, zustimmte, seinem Pferd die Sporen gab und mit mir ein Stück vorausritt. Von meinem Leben, meinen Mühen, meinen Liebschaften, von den großen Widrigkeiten, Freuden und Gefahren, die mir zu Montpellier und Nismes begegnet waren, berichtete ich getreulich alles, ohne etwas zu verschweigen außer dem höchst beklagenswerten Ende meiner armen Fontanette; nicht daß ich es ihm hätte verhehlen wollen (ebensowenig die Rolle, die ich dabei gespielt), sondern weil ich befürchtete, bei meinem Bericht in Schluchzen auszubrechen, wie es mir in Barbentane zu Füßen meiner Angelina ergangen war.
    »Mein Herr Sohn«, sprach mein Vater, als ich geendet, »Ihr seid ein Heißsporn voller Mut, der schnell seinem Mitgefühl, aber auch seinem Zorn nachgibt. Ihr waget zuviel. Ihr wollet stets alles Unrecht tilgen. Dies ist ein edeles, doch gefährliches Streben. Eure Bedachtheit in Euerm Tun ist ebenso groß wie Eure Unbedachtheit vor Euerm Tun. Beherziget stets die Weisheit: Zweifel, Vorsicht und Geduld sind die Nährmütter großer Taten. Wenn Ihr lange leben wollt in diesem grausamen Jahrhundert, so haltet Euch an diese Weisheit. Nehmet Rücksicht auf das Schicksal, so wird es Rücksicht auf Euch nehmen.
Nosse haec omnia, salus est adolescentis
. 1 «
    Während er so sprach, betrachtete ich meinen Vater und war ganz gerührt, daß er seine Rede erwartungsgemäß mit einem Ciceroschen Zitat abschloß, denn der Held von Ceresole und von Calais war auf sein elegantes Latein fast ebenso stolz wieauf seine medizinische Kunst, der er sich ursprünglich verschrieben hatte. Er saß in tadelloser Haltung auf seinem Pferd, und mit seiner kräftigen wohlgewachsenen Gestalt ohne einen Ansatz von Dickleibigkeit, seinen blitzenden blauen Augen und dem trotz seiner fünfzig Jahre kaum ergrauten Haar erschien er mir so, wie ich ihn immer gekannt hatte.
    »Mein Herr Vater«, sprach ich, »Eure Rede ist wohl wahr. Ich danke Euch für den weisen Rat und werde danach streben, meinen Mangel an Bedachtsamkeit auszugleichen. Allein«, so fuhr ich fort »wäret Ihr wohl Baron, Herr Baron von Mespech, wenn Ihr nicht alles gewagt hättet in Eurem ersten Duell, welches zur Folge hatte, daß Ihr den Arztberuf mit dem Waffenhandwerk tauschen mußtet?«
    »Pierre de Siorac«, sagte mein Vater mit gestrenger Miene, »dies war ein Gebot der Ehre, und die Ehre stehet höher als das Leben. Doch könnt Ihr das gleiche sagen von den Gefahren, in die Ihr Euch begeben? Zum ersten steht doch außer Zweifel: wer sich mit einer reichen Dirne abgibt, dem droht Gefahr durch eines Gauners Messer.«
    »Es ist dem Leichtfuß auch übel bekommen!«
    »Und dabei hat er noch Glück gehabt. War es nicht gegen jedes Gesetz, daß Ihr mit Euren Gefährten die beiden Toten auf dem Friedhof zu Saint-Denis ausgrubet, sie zu sezieren?«
    »Das hat der große Vesalius auch getan.«
    »Und hat dabei sein Leben riskiert! War es weiter auch zum Zwecke der Sezierung, daß Ihr mit einer bezaubernden Zauberin auf dem Grabe des Großinquisitors Unzucht getrieben?«
    »Ich mußte sie um jeden Preis von dem Ort der Grabesöffnung entfernen.«
    »Entfernen?« sprach Jean de Siorac, »indem Ihr solcherart in sie dranget? Wahrlich, eine seltsame Art des Entfernens!«
    Er lachte bei diesem kleinen Scherz, was auch ich tat, jedoch nicht ohne den Gedanken, daß er an meiner Stelle wohl ein Gleiches getan hätte, da jeder Weiberrock – auch wenn es nicht der einer Zauberin war – ihn magisch anzog.
    »Und drittens, mein Herr Sohn«, fuhr er fort, wobei seine Miene wieder ernst wurde, »was hat Euch angefochten, daß Ihr den gottlosen Abbé Cabassus mit Eurer Büchse auf dem Scheiterhaufen totschosset?«
    »Ich tat es aus Mitgefühl. Er litt gar große Schmerzen.«
    »Und es war ebenfalls aus Mitgefühl, nehme ich an, daß Ihr den Bischof Bernard d’Elbène zu Nismes gerettet?«
    »Gewiß.«
    »Und das war recht getan. Es war ein Gebot der Ehre, einen ehrlichen Gegner vor feigem Mord zu bewahren. Jedoch für die Grabesöffnung, das Totschießen und die Unzucht gibt es keine
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