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Mittsommersehnsucht

Mittsommersehnsucht

Titel: Mittsommersehnsucht
Autoren: Elfie Ligensa
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    Z um Hotel Peer Gynt bitte.« Andreas Herz begann nervös zu schlagen, als sie sich auf die Rückbank des Taxis sinken ließ. Der Fahrer, ein grauhaariger Mann mit Wikingerbart und einer etwas zu großen Nase, nickte. Er hatte den silberfarbenen Rollkoffer und die braune Arzttasche, die Andrea mit im Flugzeug gehabt hatte, im Kofferraum verstaut und setzte sich jetzt mit einem unterdrückten Seufzer hinters Lenkrad.
    »Das liegt aber am Stadtrand«, erklärte er und sah seinen Fahrgast im Rückspiegel fragend an.
    »Ich weiß.«
    »Ja, dann …« Er fädelte sich in den Verkehr ein. Der Flughafen von Bergen lag etwa fünfzehn Kilometer südlich der Stadt. Achtlos schaute Andrea Sandberg aus dem Fenster. Sie war bestimmt schon ein Dutzend Mal hier gewesen, die Umgebung des Flughafens war so uninspirierend wie die der meisten Flughäfen der Welt. Ein paar Werbetafeln gaben Hinweise auf Bootsausflüge zum nahe gelegenen Geiranger-Fjord oder zu den nördlichen Gebieten, dorthin, wo die Sami mit ihren Rentierherden daheim waren. Ein Foto zeigte eine hölzerne Stabkirche, ein anderes die Weltkugel am Polarkreis.
    Sekundenlang schloss die junge Ärztin die Augen. Am Fuß der eisernen Weltkugel hatte ihr Jonas seine Liebe gestanden. Nach einer romantischen Nacht in einem Hotel in Trondheim waren sie zu dem weitläufigen Nordkap-Plateau weitergefahren. Wenn man hier stand, hatte man wahrlich den Eindruck, am Ende der Welt angelangt zu sein. Es war ein trockener, heller Tag gewesen, fast hundert Touristen wurden Zeugen, als Jonas sie umarmte, lange küsste und sagte: »Ich liebe dich, schöne Doktorin, und ich würde dich am liebsten nie mehr loslassen. Seit wir uns getroffen haben, muss ich immerzu an dich denken.« So etwas wie Ironie hatte in seinen Worten mitgeschwungen, als er hinzufügte: »Das muss doch Schicksal sein, meinst du nicht auch? In Kapstadt begegnen wir uns, machen gemeinsam Urlaub in diesem Traumland … und ich verliere mein Herz an dich.«
    Mir ist es ganz genauso ergangen, dachte Andrea. Dieser Urlaub – ihr erster, seit sie als Chirurgin an der Düsseldorfer Universitätsklinik arbeitete – war auch ihr schicksalhaft erschienen. Und Jonas, ein blonder Hüne mit dem Aussehen eines jungen Robert Redford, schien der Mann zu sein, der für sie bestimmt war.
    So oft es ging, besuchte sie ihn in seiner Heimat. Jonas war nicht so leicht abkömmlich wie sie, denn er leitete in Bergen ein großes Hotel, musste fast rund um die Uhr ansprechbar sein. Und so kam Andrea, wann immer sie einige freie Tage angesammelt hatte, in die alte Hansestadt, die so reizvoll war, dass sie sich hier beinahe heimisch fühlte. Und nach dem dritten Besuch beschloss sie, sich an einer Klinik in Bergen zu bewerben. Ärzte aus dem Ausland waren in Norwegen gern gesehen, und so bekam sie bereits nach wenigen Wochen eine Zusage.
    Jonas … sie freute sich so darauf, ihn zu überraschen! Drei Wochen früher als geplant hatte sie ihre Arbeit in Düsseldorf beenden können und war spontan in das nächste Flugzeug gestiegen. Nur zwei Koffer hatte sie dabei, alles andere war verschifft worden und würde sicher wenig später als sie selbst in Jonas’ Hotel eintreffen.
    »Wir sind da. Ich wünsche einen schönen Aufenthalt in Bergen«, sagte der Taxifahrer, als sie den Stadtteil Fana erreicht hatten, und lud ihr Gepäck aus. Andrea glaubte die nahe See zu riechen, den unverwechselbaren Geruch nach Salz und Teer, nach Fisch und Tang. Aber das war wohl nur Einbildung. »Danke.« Sie gab ein üppiges Trinkgeld. Warum sollte der Mann mit der viel zu großen, leicht geröteten Nase nicht auch ein wenig von dem Glück, das sie verspürte, abbekommen? Er nickte nur zum Dank und ging, sich den Bart streichend, zurück zur Fahrertür.
    Ein Portier, der Andrea nicht kannte, begrüßte sie höflich und fragte sie, wie lange sie bleiben wolle.
    »Das kommt ganz auf Ihren Chef an«, erwiderte Andrea lächelnd. »Lassen Sie bitte das Gepäck in sein Büro bringen. Ich gehe gleich hinauf in seine Privaträume.«
    »Aber …« Der Portier, etwa sechzig Jahre alt und mit einem ähnlichen Vollbart wie der Taxifahrer, zuckte nur mit den Schultern und zeigte zum Lift. »Dann kennen Sie ja den Weg.« Er sprach ein fast akzentfreies Deutsch.
    Kam es ihr nur so vor oder war tatsächlich alles Freundliche, Verbindliche aus seiner Miene verschwunden? Andrea zuckte unmerklich mit den Schultern. Die Vorfreude auf das Wiedersehen hatte sie wohl ein wenig verwirrt,
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