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Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Titel: Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation
Autoren: Katrin Grunwald
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Hereinspaziert
    Drei Wochen Urlaub sind vorbei. Man erwartet mich wie immer pünktlich an meinem Arbeitsplatz. An einem Samstag, wenn andere ins Wochenende gehen. Es scheint eine Art Motivationstraining zu sein, ein bisschen Sport ist auch dabei:
    Wir laufen ein paar Kilometer, und der eine oder andere Sprint ist auch mit drin. Nur nicht die Bodenhaftung verlieren!
    Ich arbeite auf einer Intensivstation als Fachkrankenschwester für Anästhesie und Intensivpflege. Der Arbeitsbeginn an einem Samstag ist sozusagen der Härtetest. Andere bekommen Frühdienst aufgebrummt, da bin ich mit dem Wochenende noch ganz gut weg gekommen.
    Ich krame in den Regalen der Personalumkleide nach bequemen Kitteln und Hosen, alles liegt sorgsam gefaltet parat in leuchtendem Grün, hygienisch sauber und rein. Trotz strenger Hierarchie – die hier und da natürlich progressiv geleugnet wird – tragen pflegerisches wie auch ärztliches Personal dieselbe Kleidung. Die Ärzte unterscheiden sich von uns durch ein umgehängtes Stethoskop, allerlei Pieper und Telefone in der Kitteltasche. Mit so viel Gepäck muss ich mich dankenswerterweise nicht abschleppen.
    Nun stehe ich vor meinem olivgrünen Spind aus Metall und fühle mich etwas merkwürdig in meiner Kluft aus grüner Hochwasserhose und übergroßem Kittel. Mir ist etwas schal im Kopf, im Magen flau. Was könnte helfen? Kürzlich gab es im Fernsehen eine Dokumentation über Mitarbeitermotivation in irgendeinem japanischen Konzern. Alle standen in Reih und Glied und sangen die Firmenhymne, nein: sie grölten. Als sie fertig waren, gab es vom Chef noch eine anspornende Message, die wahrscheinlich mit Parolen und Slogans gespickt war – so genau weiß ich das nicht, ich habe den Mann nicht verstanden und es wurde nicht übersetzt. Vielleicht aus gutem Grund. «Takemura, hören Sie auf, in der Nase zu bohren da hinten», das muss ja nun auch nicht sein. Ob das hilft? Und gibt es dort Betriebsräte? Mir würde eine solche Betriebshymnengrölerei jetzt den Rest geben. Ohnehin widerstrebt mir jedwede Art von Betriebshuberei; der Gedanke, dass ich so etwas wie Dankbarkeit dafür verspüren soll, dass man mich bei schönstem Sonnenschein zum Dienst bittet, löst eine gewisse Befremdung aus …
     
    Ich schnüre meine Laufschuhe mit den dicken Sohlen und verstaue gerade diverse Ausrüstungsgegenstände wie Kugelschreiber, Scheren, Klemmen, Pfefferminzdrops und ähnlichen Kleinkram, als bereits durch die geschlossene Tür des Umkleidebereichs ein heiseres «Hilfe!» erklingt – offensichtlich ein desorientierter Mensch, der sein derzeitiges Umfeld als Bedrohung erlebt. Ich bin gewarnt.
    Und ich bin wieder da, ich werde gebraucht; es wird Zeit, wieder mitzuspielen. Ich trete aus der Umkleide hinaus auf die Station und freue mich auf den Anpfiff – mit wem kann ich mir heute die Bälle zuspielen? Wie fit ist die gegnerische Mannschaft? Gewinnen wir, oder wird es nur ein fades Remis? Oder gewinnt das Chaos?
    Ich verlasse die Umkleide und durchschreite den Flur, einen Traum aus Linoleum und Schiebetüren; ein zweckmäßiges Ambiente, weil schnell zu säubern. Es riecht wie immer: ein bisschen nach Desinfektionsmittel, von dessen Strenge sich eine Kopfnote aus verschiedenen Ausscheidungen emanzipiert. Geräte piepen, zischen und pfeifen, das Telefon bimmelt. Freudig werde ich begrüßt und die Freude ist ganz meinerseits, denn der Star ist ebenfalls zugegen – was für eine phantastische Überraschung! Mit dem Star habe ich nicht nur schon so manch brenzlige Situation erfolgreich bestritten, sondern wir sind auch gute Freundinnen. Und jetzt starten wir auch noch gemeinsam durch; wenn das kein guter Anfang ist!
    Es geht los, wir wollen keine Zeit verplempern. Die Stimmung scheint gut zu sein. Auch die Einteilungszeremonie «Wer geht wohin?» geht diesmal reibungslos über die Bühne. Offensichtlich befinden sich keine Langlieger auf der Station, die niemand mehr sehen kann, weil man sie schon sechs Wochen ertragen musste. Mit dem Star sind wir zu sechst, alles Leute, über deren Anwesenheit ich mich freue, bis auf die Spaßbremse vielleicht, die in ihren Kurven immer mit einem Lineal herummalt, adrett frisiert zur Arbeit erscheint und im Amt sicher mehr Freude hätte, so bar jeglicher empathischer Begabung. Grundsätzlich ist aber immer jemand da, mit dem man mal eben die Situation durchleuchten und bei Bedarf boshaft kommentieren und fies lachen kann. Man nennt das
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