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Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Titel: Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation
Autoren: Katrin Grunwald
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viel zu niedrig eingestellt, doch die ganzen Maschinen und Geräte sind immer noch festgeschraubt und machen eine Regulierung der Höhe unmöglich. Hektisch schraubt der Star die Gerätschaften vom Fußende, leicht ist es nicht. Etwas, das unter hoher Adrenalinausschüttung angeschraubt wurde, lässt sich später mit verschwitzten Pfoten nur schwer lösen. Mit vereinten Kräften schaffen wir es schließlich doch, nebenher wird noch eilig der Defibrillator angeschaltet, und eine elektronische Melodie orgelt durch das Zimmer. «Zurück vom Bett!» ruft Frau Anzug laut, und durch den Körper der Frau zischen 360 Kilojoule. Bringen tut es leider nichts, auch ein zweiter Versuch verspricht keine Besserung ihres Zustands. Allmählich schleicht sich ein Gefühl der Panik und Ratlosigkeit bei uns ein. In der Tür steht das Hippo und hält Maulaffen feil sowie eine Spritze mit Narkosemittel in der Hand. Als ihr der Star das Narkosemittel aus der Hand reißt, stellt sie fest, dass es die falsche Dosierung ist, und rennt schließlich selber los. Frau Anzug drückt weiter; allmählich müssten ihr doch eigentlich mal die Arme wehtun! Ein besseres Training für den Trizeps als eine Herzdruckmassage gibt es eigentlich gar nicht. «Scheiße», ächzt sie, «was ist das bloß für ein Mist, ich krieg die überhaupt nicht wieder!» Der Schweiß steht ihr auf der Stirn, rinnt hinunter zur Nase und tropft auf ihren Kittel. Wir rennen aus dem Zimmer, holen noch mehr Medikamente und ziehen sie auf. Wir haben schon fast all unsere Kollegen eingespannt, und es geht zu wie auf einem Hühnerhof. Auf dem Flur ist ordentlich Betrieb, und es beginnt ein aufreibender Slalom zwischen den neugierigen Besuchern, denen die dramatische Stimmung selbstverständlich nicht entgeht. Nur wenige gehen direkt zu ihren Angehörigen. Wo bleibt eine Durchsage wie in der U-Bahn à la «Zuurrrrrrückbleiben bitte!»? Oder am besten noch jemand, der wie im Stadion mit dieser Kiepe voller Plastikbecher, einem Biertank auf dem Rücken und einem Korb mit Brezeln umhergeht? Den Zuschauern soll es an nichts mangeln. Wir Spieler haben wohlgemerkt noch nicht mal die Halbzeit erreicht.
    Da das Zimmer strategisch günstig am Eingangsbereich des Traktes liegt und die Tür offen ist, ist der Anreiz, mal einen kurzen Blick zu riskieren, natürlich groß. So können alle, die wollen – und es wollen viele! – sehen, wie wir da herumrennen, wie eine vermummte Ärztin versucht, noch irgendwo etwas hineinzustechen in diesen Körper, wie die Brüste der sterbenden Frau bei der Herzmassage wippen und Frau Anzug schon reichlich erledigt und leise fluchend ihr Bestes gibt, wie die IABP rumpelnd pumpt und zwischendurch piept. Tatsächlich guckt plötzlich ein Ehepaar um die Ecke.
    «Guten Tag», sagt die Frau ganz ruhig, «hier lag gestern noch mein Schwager, wo liegt der denn jetzt?» Und sie und ihr Gatte gucken interessiert auf das Schlachtfeld. Habe ich irgendwas nicht mitbekommen? Hat es doch eine Durchsage gegeben, wie auf dem Jahrmarkt? «Treten Sie näher, meine Damen und Herren, hier geht es absonderlich zu!» Die Einladung zu der Freak-Show, in der Leute mit drei Armen sitzen oder durchgesägt werden, habe ich in der Hektik allem Anschein nach verpasst.
    Während Hippo wichtig guckt wie ein Hund auf dem Beifahrersitz, geht dem Star der Hut hoch. «Ich hab keine Ahnung, wie Ihr Schwager heißt und wo der liegt, raus hier, das kann ja wohl nicht wahr sein!», flucht sie und drückt die Frau rückwärts raus. Es hätte nicht viel gefehlt, und die Frau hätte sich eine gefangen. Die Freak-Show fällt vorerst aus.
    Die Visite kommt. Da das Zimmer schon randvoll ist, bleiben freundlicherweise alle draußen. Es beweist aber, dass sich unsere recht aussichtslose Lage schon bis zur Oberarztebene herumgesprochen hat. Hier kann man einfach nur noch machen und gucken, was dabei herauskommt. Es ist, schon räumlich, kein Platz für großes Fachsimpeln oder einen verbalen Schlagabtausch, den sowieso der Oberarzt gewinnen würde – es sei denn, es befindet sich so eine Art «Alphatier-Ersatzmännchen» mit im Raum, da könnte es heikel werden. Revierkämpfe wie in der Fauna. Das würde jetzt noch fehlen, dass hier irgendein Pfau sein Rad schlägt! Außerdem sind genug Personen mit Durchblick vor Ort, die einfach nur noch schuften und das aus Leibeskräften, nämlich wir, der Star und ich und Frau Anzug, die allmählich Ränder unter den Augen bekommt und sich auf ihre Ablösung
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