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Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Titel: Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation
Autoren: Katrin Grunwald
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lassen, da sind wieder die doofen Schwestern, die alles besser wissen!»
    Linderung hingegen spenden die Prachtexemplare, die schon früh begriffen haben, dass Einzelkämpfer es oft schwer haben und Standesdünkel peinlich sind. Das sind diejenigen, die sich mit ihrem Namen vorstellen und beim Pflegepersonal nachfragen, wie wir in der Regel dies, das und jenes angehen würden. Es sind die, die sich erfahrene Kollegen zu Hilfe holen, wenn sie merken, dass sie sich einige Dinge doch noch nicht zutrauen und nicht mit Mann und Maus untergehen möchten. Mit diesen Kollegen sitzt man auch schon mal gemeinsam in der Kneipe und trinkt ein Feierabendbier. Wenn der Kollege mir dann erzählt, dass er in der Situation xy ohne mich total aufgeschmissen gewesen wäre, geht mir das runter wie Öl. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, mich ließe das kalt. Die Momente, in denen jemand die Arbeit des Pflegepersonals würdigt, sind einfach zu selten.
    Missgestimmt und ernüchtert überlege ich immer öfter, was ich anstelle der Pflege machen könnte, und stelle fest, dass es mir nicht an Ideen mangelt, sondern an den Bedingungen, diese Ideen auch umzusetzen. Es fehlt mir schlichtweg Kapital, um zum Beispiel eine Kneipe nach südeuropäischem Vorbild aufzumachen, herausgeputzt mit Nippes und Kitsch, in der auf schlichten Resopaltischen qualitativ hochwertige Snacks und eine Auswahl exotischer Biersorten gereicht werden. Vor allem wäre es aber wieder ein Tag- und Nachtjob, und ich müsste mich auf die Frage gefasst machen, ob man den entkoffeinierten Kaffee auch mit Sojamilch bekommen könnte. Ich nehme an, mit meinem Hang zur Misanthropie wäre ich auf Dauer keine gute Gastgeberin.
    Für den Moment habe ich also beschlossen, auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Von meiner Krankenkasse ließ ich mir mal einen Antrag auf Genehmigung einer Kur schicken, verwarf den Gedanken aber schnell wieder. Die Vorstellung, den ganzen Tag in einer Kurklinik zu verbringen, in der alle in Gesundheitslatschen und Trainingshosen von der Massage oder verheult aus der Therapiesitzung kommen, jagt mir kalte Schauer über den Rücken. Ich will weder töpfern noch therapeutisch reiten, ich will nicht mit all den anderen Trantüten, so wie ich gerade eine bin, morgens stumpfsinnig das Frühstücksbüffet abgrasen, weil ich eigentlich auf der Suche nach mehr bin als nach einer Scheibe labberigem Gouda.
    Stattdessen versuche ich mich neu zu positionieren – muss ich alles kopfnickend mitmachen? Was kann ich aus meiner Arbeit noch für mich herausholen? Wer steht mir dabei zur Seite? Und wäre es vielleicht doch hilfreich, ab und zu durch den Wald zu rennen? Als ich diesen Fragenkatalog abgearbeitet und beim Rennen durch den Wald regelmäßig meinen Kopf sortiert habe, erscheint langsam wieder Licht am Firmament.
    Ich bin definitiv geheilt von der Illusion, dass die Intensivpflege ein Traumberuf ist – viel zu nah komme ich täglich Krankheit, Tod und dem Bewusstsein, dass alles plötzlich vorbei sein kann. Und viel zu sehr rückt uns die Fehlplanung kühl kalkulierender Geschäftsführungen auf die Pelle, die nach monatelanger Zahlenjonglage zu dem Ergebnis kommen, dass anspruchsvolle Pflege auch mit der Hälfte des Personals locker zu schaffen sei.
    Und trotzdem ist es immer wieder interessant zu sehen, was sich hinter dem Wirrwarr eines diagnostischen Haufens verbirgt. Es macht Spaß, von einem lächelnden alten Mann mit den Worten «Ach, hallo, da sind Sie ja wieder!» begrüßt zu werden. Wenn ich mit netten Kolleginnen und Kollegen Dienst habe und wir die ganze Hektik nicht bierernst und grantig ertragen, schlafe ich besser. Es ist schön, wenn Patienten oder Angehörige uns ihren Dank aussprechen, wenn sie uns Karten schreiben und Kuchen mitbringen, weil sie sich freuen, dass ihr Leben und das der Angehörigen allmählich wieder zur Ruhe kommt. Oder weil sie erleichtert sind, dass die Qualen nach vielen Wochen endlich ein Ende haben. Und es ist ernüchternd, wenn wir den Namen eines Menschen, der sich so über seine Verlegung von der Intensivstation gefreut hat, zwei Wochen später in den Todesanzeigen lesen müssen.
    Als der Giftzwerg gesagt hat, dass sie immer schon Krankenschwester werden wollte, habe ich sie leider nicht gefragt, ob sie sich vorstellen kann, diesen Traumjob bis zur Rente zu machen. Ich weiß noch nicht einmal, was ich selber antworten würde.

Mein Dank gilt meiner Agentin Gila Keplin sowie meinen Lektorinnen Susanne
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