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Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Titel: Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation
Autoren: Katrin Grunwald
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noch zu schlafen, und wenn ich wieder einigermaßen klar denken kann, kommen sechs Spätdienste. Der «Traumberuf» verschafft mir zwar ein halbwegs befriedigendes Einkommen, das auch mal einen Frustkauf zulässt, allerdings hat meine Fachausbildung auch zu keiner signifikanten Gehaltserhöhung geführt. Jeder Dünnbrettbohrer in der freien Wirtschaft wird besser bezahlt, wenn er erfolgreich an einer zweitägigen Fortbildung zum Thema «Wie schneide ich ein Stück Schnur durch?» teilnimmt. In der Krankenpflege ist das anders – kranke Menschen zu pflegen, scheint für die Gesundheitspolitik ausschließlich altruistisch motiviert zu sein.
    Nachdem ich mehrfach hin und her gerechnet habe, komme ich zu dem Schluss, dass ich mit kleinen Einschränkungen auch mit einer Dreiviertelstelle auskomme. Als ich zum ersten Mal meinen neuen Dienstplan sehe, kann ich es kaum fassen: So viele freie Tage! Die Vorfreude deckelt sogar den ersten Anflug von Verarmungsangst, als ich meine erste Abrechnung in den Händen halte. Ich bin zufriedener, habe mehr Zeit für mein Privatleben und gebe deshalb weniger Geld für Frustkäufe aus.
     
    Die gewonnenen Stunden bergen jedoch auch das Risiko, sein Leben einmal einer Bestandsaufnahme zu unterziehen – und nachzudenken. Was sich alltäglich auf einer Intensivstation abspielt, kommt dem Begriff «Wahnsinn» bedrohlich nah. Bedrohlich auch deshalb, weil ich mittendrin stecke; ich mache mit. Nicht nur ich bemerke, wie die Zeit für die Patientenversorgung immer knapper wird. Immer mehr alte und chronisch kranke Menschen müssen versorgt werden, gleichzeitig drohen absurde Stellenstreichungen: wo das Personal dringend aufgestockt werden müsste, wird bei zunehmender Arbeitsbelastung mit der gleichen Anzahl an Leuten weitergearbeitet. Ich nenne das eine elegante, aber nicht weniger unfeine Form der Personalkürzung. Zunehmend panischer rasen wir von einem Zimmer zum nächsten, in einem rasanten Tempo versuchen wir alles zu geben und brennen nach und nach langsam aus. Auch ich. Mit einem Mal habe ich keine Lust mehr. Der Gang in die Klinik fällt mir jeden Tag schwerer: All das erlernte «So ist es richtig!», all diese unzähligen Varianten des Gutseins, all das «Da müssen wir nochmal genauer hingucken» kommt mir aufgeblasen und gleichzeitig wie chloroformiert vor. Zunehmend bringen mich meine engagierten Kollegen auf die Palme, wie sie, auf die immer schwieriger werdenden Verhältnisse angesprochen, mit einem standardisierten «Ach, woanders ist es doch noch schlimmer!» reagieren, so als würden sie mit einem abgeschnittenen Arm strahlend herumrennen und sagen: «Macht nichts, gar nicht schlimm, ich hab ja noch einen zweiten!»
    Artig und fleißig mitlaufen, selbstverständlich alles ermöglichen, immer stets zur Stelle sein und niemals Nein sagen oder gar stänkern – wer Kritik übt, stört die Harmonie. Und genau dieser Harmonie traue ich immer weniger über den Weg, das Grinsen zeigt einfach zu viele Zähne.
    Erschwerend hinzu kommt ein Generationswechsel in der Pflege und bei den Ärzten: Den jungen Kollegen, die sich wie ich den Traum einer Stelle auf einer Intensivstation erfüllen, den Verdienst auf die hohe Kante legen und von nichts anderem mehr reden können als von der Eigentumswohnung, ihrem Haus und dem neuen Auto, ist der Preis scheinbar nicht zu hoch. Mein Spam-Filter, der sonst dafür sorgt, dass mir all das aufgeregte Geschnatter einfach egal ist, hat seinen Geist aufgegeben.
    Die Jungärzte, die frisch von der Uni kommen, sind mittlerweile allesamt jünger als ich. Sie sind anders als wir früher und verzichten fast vollständig auf verbale Kommunikation mit dem Pflegepersonal und den Patienten, das stiehlt ja auch Zeit. Vielleicht liegt es daran, dass sie den Betrieb nicht anders kennen und deshalb mit dem desaströsen Status quo nicht mehr hadern. Manche kaschieren ihre Verunsicherung auch mit Arroganz und schnüren verdruckst mit wichtigtuerischem Blick durch die Flure, die Kitteltaschen prall gefüllt mit Klinikleitfäden und Taschenkompendien, die ihnen natürlich nicht helfen.
     
    Weniger kurz angebunden und maulfaul ist die «Next Generation», wenn es im Pausenraum und in der Kantine um «mein iPhone, mein Haus, mein Auto, mein Laptop» geht. Da zeigt sich, wer der absolute Kenner ist, wer es besser kann, wer den neuesten Klingelton und den besten Sound hat. Geht es zurück auf die Station, herrscht wieder Totenstille. «Oh Gott, bloß nichts anmerken
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