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Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Titel: Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation
Autoren: Katrin Grunwald
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musste in der Inneren Medizin und auf chirurgischen Stationen arbeiten, ich war einen Monat im OP , dann wiederum einen Monat in der Hauspflege. Am meisten freute ich mich jedoch auf die Intensivstation. Wenn wir dort Patienten abholten, bekam ich jedes Mal große Augen. Etwa eineinhalb Jahre später war es so weit: Hier lernte ich, wie es aussieht, wenn Hopfen und Malz verloren sind, wie Menschen nach dreiwöchiger Beatmung doch wieder auf die Beine kommen, wie komplex all das ist – und dass etwas sehr Wahres in den berühmten Worten «Totgesagte leben länger» steckt. Nachdem ich die Abläufe dort durchschaut hatte, traute man mir die eigenständige Versorgung von Patienten zu. In diesem Moment traf ich eine Entscheidung: Wenn schon Pflege, dann Intensivpflege. Weil aber der Betrieb auf einer Intensivstation ungleich heftiger ist als auf einer Normalstation, wird einem geraten, zunächst dort Lehrgeld zu zahlen.
    Der Empfehlung, sich nach dem Examen erst mal zwei Jahre woanders den Wind um die Nase wehen zu lassen, kam ich nur zähneknirschend, aber einsichtig nach und war froh, direkt nach der Prüfung überhaupt eine der raren Stellen ergattert zu haben. Nach eineinhalb Jahren auf einer internistischen Station hatte ich die Nase gestrichen voll und wechselte auf eine chirurgische Station, was meinen fachlichen Vorlieben zwar näher kam, wo die intrigante Teamstruktur mir aber zu schaffen machte. Ich hatte keine Lust, auch noch meine Freizeit mit den Kollegen zu verbringen, beim Grillen oder auf «Tupper»-Partys, und das wurde mir als Arroganz angekreidet. Als ich kurz davor war, genervt und ernüchtert die Pflege an den Nagel zu hängen, rief mich an einem trüben Nachmittag im Februar meine frühere Klinikpflegeleiterin an und fragte, ob ich ab April auf der Intensivstation anfangen wolle. Sie hatten ihr Wort gehalten und auf mich gewartet. Der zweijährige Welpenschutz war vorbei und ich hatte das Gefühl, endlich eine echte Aufgabe zu haben.
    Es folgte eine beinharte sechswöchige Einarbeitungszeit, in der ich lernen musste, alles nach und nach im Alleingang zu schaffen, ohne dass mir die Praxisanleiter fortwährend das Händchen hielten. Nach drei Wochen stauten sich die Fakten in meinem Gehirn und ich betete, dass die Wochenenden ausreichten, um am darauffolgenden Montag wieder aufnahmebereit zu sein. Das hier war etwas anderes, als auf einer Normalstation Kaffee auszuteilen. Hier tobte nicht das Leben, hier tobten alle, um Leben zu retten. Zu Hause wälzte ich regelmäßig Fachbücher, aber um das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheiden zu lernen, meldete ich mich schließlich für die zwei Jahre dauernde Fachausbildung an. Und das, obwohl ich nach der ganzen Paukerei und den Prüfungen zum Krankenpflegeexamen gedacht habe: «So etwas mache ich nie wieder!»
     
    Der Star und ich sitzen einige Plätze voneinander entfernt in dem stickigen Raum mit brauner Auslegware aus Synthetik, der für die nächsten zwei Jahre unser «Klassenzimmer» sein wird. Dieser Raum liegt in unmittelbarer Nähe zur Pathologie der Klinik, in der montags immer der Teufel los ist, weil sich die Beerdigungsinstitute die Klinke in die Hand geben, um die Verstorbenen vom Wochenende abzuholen. In den Pausen stehen wir zusammen und rauchen, tauschen uns über Bands und neue Bücher aus und wissen nach kürzester Zeit, dass wir hier ohne einander verloren wären. In diesem Kurs der «Fachweiterbildung für Anästhesie- und Intensivpflege» sind etwa 25 Frauen und Männer aus diversen Kliniken; sie arbeiten entweder auf einer Intensivstation oder in der Anästhesieabteilung im OP . Wir sitzen hier, um alles über die Feinheiten der Beatmungstherapie zu lernen, über Narkosemedikamente, über Ernährung per Infusion oder Sondenkost, über rechtliche Grundlagen und ethische Fallstricke, über Hygiene, über den Umgang mit Tod und Sterben, über Gerinnungsstörungen, darüber, was passiert, wenn ganze Organsysteme ihren Dienst aufkündigen und wie man solche Situationen in Schach halten kann.
    Bei einer Vollzeitstelle ist der Freizeitanteil knapp bemessen. In dieser Zeit muss ich einem Lernpensum Raum geben, das sich gewaschen hat. Regelmäßig stehen Klausuren an, und weil sich mein Gehirn in gewissen Detailfragen etwas sperrig geriert, bin ich froh, dass der Star mit mir gemeinsam lernen will. Meistens sind wir bienenfleißig, und wenn wir unser Pensum geschafft haben, belohnen wir uns in der Kneipe mit einem Bier. Alle weiteren
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