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Das Feuer von Konstantinopel

Das Feuer von Konstantinopel

Titel: Das Feuer von Konstantinopel
Autoren: Ingmar Gregorzewski
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Teil 1: Das Feuer von Konstantinopel
     
     
    1.
     
    Wozu Angst? Zwar naht die Nacht, und b ald wird sich wie gewöhnlich der Himmel verdunkeln. Aber niemand wird durch die Finsternis verloren gehen. Ich bin hier, bei euch. Kommt ruhig näher und lasst euch nieder. Versammelt euch. Auch die Sterne am Firmament wollen euch beschützen. Sie betrachten das Leben auf der Erde schon so lange. Seit ewigen Zeiten sehen sie zu uns herab. Voller Geduld. Und das Ende der Ewigkeit wird uns schon nicht gerade heute bevorstehen. Also bleibt, hört die Geschichte, die ich euch erzählen will. Bis zum Ende eurer Tage wird sie euch nicht mehr aus dem Kopf gehen. Euer Herz wird sie umklammern und nicht mehr loslassen wollen. Niemand, der sie einmal hörte, kann sie je vergessen, am allerwenigsten ich selbst. Wie könnte ich auch, ist sie doch auch ein Teil meines eigenen Lebens. Also, nur keine Angst, niemand wird in dieser Nacht verloren gehen... hört die Geschichte des Felix von Flocke, so, wie sie wirklich war.
     
    Fast jeder, der in dieser ungeheuerlichen Geschichte mitspielt, ist für immer aus dem Leben geschieden. Tot. Begraben auf einem Friedhof unter moosgrünen Steinplatten, versunken auf dem unberührten Grund des Meeres oder als ewiger Staub unterwegs durch die Unendlichkeit – fragt mich nicht, was aus ihnen allen geworden ist. Ich kann es euch nicht sagen.
    Aber wer waren sie? Von wem rede ich hier überhaupt?
    Da gab es zunächst das Fräulein Romitschka. Sie hatte damals die blaue Reisetasche aus den Flammen gerettet, todesmutig ein Papier des Kardinals hinuntergeschluckt, ein Papier, das Felix beinahe seinen linken Arm gekostet hätte.
    Oder Baptist, den Dieb, den Lügner, ein Junge von gerade mal zwölf Jahren, welches Schicksal hat ihn ereilt? Ist er noch einmal davongekommen? Konnte er seine Seele retten vor seinen Feinden und Verfolgern, die ihm in den dreckigen Gassen des 'Krätzeviertels’ auflauerten? In den Armenküchen von heute sieht man immer noch Gesichter wie seines, den Blick traurig in den Traum von einem besseren Leben gerichtet. Denn den Hunger der Kinder nach Liebe kann auch die Armenküche nicht stillen, heute nicht und gestern erst recht nicht.
    Und wo auf der Welt gibt es noch einen Menschen wie Giacomo, den Mann, der in der Wand lebte? Natürlich hauste er nicht in irgendeiner Wand, sondern in den Mauern eines Schlosses, das er nicht verlassen wollte, weil dort ein Junge wohnte, der Hilfe brauchte. Und dieser Junge war ein echter Prinz.
    Ihr werdet auch Esther kennenlernen, ein Mädchen, das eine berühmte Diebin werden wollte. Sie war mindestens so furchtlos, wie die größten und berühmtesten Helden ihrer Zeit. Ein Schiff sollte sie über das Meer bringen, weit weg und in Sicherheit vor Not und Ungerechtigkeit. Ist es je wieder in einen Hafen eingefahren unter dem Jubel der Menschen, die an Land warteten, unter den Freudenschüssen der Kanonen und unter den Schreien der immer hungrigen Möwen? Ich habe bis heute nichts über dieses Schiff in Erfahrung bringen können. Dabei kenne ich viele Häfen und höre so manches.
    Andere Gestalten wiederum geistern noch immer unter uns herum. Sie sind so lebendig wie wir. Unauslöschlich. Bereit, Unheil zu schüren von dem Moment an, in dem man ihnen begegnet, sie einem gegenüberstehen. Nur die Tapfersten unter uns sind ihnen gewachsen. Einer, der für immer auf das Böse geschworen hat, ist der Kardinal, den ich bereits erwähnt habe. Wie kann er tot sein? Hat doch einer der arabischen Geldwechsler in Jerusalem allen davon erzählt, er hätte ihn am Damaskus-Tor getroffen, in der Verkleidung eines Wasserverkäufers, die vernarbte Hand immer noch in einem roten Handschuh versteckt, der ihm überhaupt erst den Namen 'Kardinal’ eintrug. An diesem roten Handschuh will er ihn erkannt haben. Aber ich bitte euch: Gibt es nicht Millionen Menschen auf diesem Planeten, die einen roten Handschuh tragen? Wozu also die ganze Aufregung?
    Auf der Opernbühne in St. Petersburg steht eine Sängerin, deren leise Stimme flüstert, sie singe um ihr Leben, wenn sie in den dunklen Kulissen Abend für Abend den Schatten erblickt, von dem sie nur einen Handschuh erkennen kann. Der würde glühen wie heißes Eisen, rot und gefährlich. Das soll die Hand sein, die so viel Unglück über all diejenigen gebracht hat, die von ihr berührt worden sind? Die Hand, der sich nur einer widersetzen konnte, ein Junge mit einer unglaublichen, ungeheuerlichen Geschichte, ein Junge
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