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Das Feuer von Konstantinopel

Das Feuer von Konstantinopel

Titel: Das Feuer von Konstantinopel
Autoren: Ingmar Gregorzewski
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verwandelte sich ihre kostbare Geige in eine gemeine ‚Fiedel’. Die Zuhörer im Saal klatschten und trampelten vor Vergnügen. In solchen Augenblicken dachte Esther jedes Mal an die letzten Worte ihres Großvaters Samuel Silberstein, die er auf dem Totenbett gesprochen hatte: „Wir haben doch keinem weh getan.“
     
    Saubere Kieswege schlängelten sich durch den Krankenhausgarten. Hauptwachtmeister Kloppke hatte Fräulein Romitschka den Arm gereicht und sie hatte angenommen. Behutsam setzte er mit ihr einen Schritt vor den anderen. Er wollte keine Eile verursachen. Die Bäume warfen einen angenehmen Schatten.
    „Dies ist eine Birke!“, sagte Kloppke, blieb stehen und wartete, bis die Worte ihren Weg durch das Gehirn seiner Begleiterin gefunden hatten. Tatsächlich betrachtete Fräulein Romitschka den Baum wie einen Fremden.
    „Wie angenehm“, antwortete sie unsicher.
    „Ahorn!“, sagte Kloppke und deutete auf einen Baum weiter hinten.
    „Interessant, sehr interessant...!“, befand Fräulein Romitschka vielsagend.
    „Bald wird das Nervengift aus Ihrem Körper verschwunden sein. Sie werden wieder ganz die Alte“, tröstete Kloppke das Kinderfräulein liebevoll.
    „Besser wir kehren um...! Vielleicht kommt Regen. Ich habe keinen Schirm dabei“, sorgte sich Fräulein Romitschka. Von Regen war weit und breit keine Spur. Der Himmel strahlte blau. Kaiserwetter.
    „Bis zum Rosenstrauch... abgemacht ist abgemacht!“ Der Hauptwachtmeister schmunzelte sie an. Fräulein Romitschka nickte stumm. Sie wollte keine Spielverderberin sein.
    Langsam setzten die beiden ihren Spaziergang fort. Fräulein Romitschka beugte sich vorsichtig zu einem Blütenkelch und atmete den Duft ein.
    „Die Rosen...!“, sagte sie und lächelte.
    „Sie haben sie erkannt!“, freute sich Kloppke und wollte Fräulein Romitschka am liebsten vor lauter Glück an sein Herz drücken.
    Schnell ergriff er ihre Hand.
    „Hören Sie mir zu, ich bitte Sie...! – Die Zeiten werden nicht besser. Eine Frau wie Sie, alleine auf sich gestellt, wie soll es für Sie weitergehen...?“, stotterte er und wagte es nicht, Fräulein Romitschka in die Augen zu sehen.
    „Nun...!“, sagte das Kinderfräulein. „Es ist besser, Sie sprechen jetzt nicht mehr weiter!“
    „Aber warum nicht?“, wollte Kloppke wissen und versuchte dabei möglichst nicht verzweifelt zu klingen.
    „Es gehört sich nicht!“, erwiderte Fräulein Romitschka leise.
    „Ich frage Sie: Wollen Sie meine Frau werden?“ Kloppkes Stimme zitterte. Seine Augen waren auf die ihren gerichtet.
    „Ich kenne ja noch nicht einmal alle Bäume, geschweige denn Sie...!“, antwortete sie.
    Kloppke wollte gerade ihre Hand wieder freigeben, da spürte er, dass sie die seine festhielt.
    „Aber Sie werden mir den Namen jedes einzelnen Baumes beibringen. Jede Pflanze, jedes Geschöpf werden Sie mir zeigen. Sie werden mir die Welt erklären. – Ja, ich will Ihre Frau werden“, sagte Fräulein Romitschka mit fester Stimmer.
    Für Kloppke begann der Boden unter den Füßen zu schwanken. Fräulein Romitschka ließ ihn derweil stehen und schritt voran.
    „Was ist denn?“, rief sie ungeduldig und deutete auf den nächsten Baum. „Eine Weide, habe ich recht?“
    Kloppke konnte sich nicht von dem Rosenbusch lösen. Zu schön war der Duft.
    „Ja, eine Weide. Wie unglaublich recht Sie haben“, flüsterte er leise vor sich hin. Er schwor sich, diesen Augenblick nie mehr in seinem Leben zu vergessen.
    „Danke vielmals! Vielen Dank auch!“, freute sich Fräulein Romitschka und drehte sich wie ein Kind im Kreis. Sie war auf der Suche nach dem nächsten Baum.
     
    Auf Wiedersehen, Fräulein Romitschka. Sie wurden zusammen glücklich, sie und Hauptwachtmeister Kloppke. Als die Zeiten schlechter wurden und der große Hunger kam, pflanzten sie Kohl, Kartoffeln und Rüben in einem kleinen Garten hinter den Eisenbahnschienen. Einen Teil ihrer Ernte trugen sie in der blauen Reisetasche zum Markt, um ihn dort zu verkaufen. Nur die ballspielende Katze aus Porzellan, die gab Fräulein Romitschka nicht fort, die behielt sie und verwahrte sie, wie einen kostbaren Schatz.
     
    Kriege gewinnt man nicht mit Helden, sondern mit feigen Mördern und üblen Verrätern. Ich weiß nicht, ob Sinan Khan das jemals erfahren hat. Seine letzte Schlacht hat er jedenfalls nicht überlebt. Bevor er tot von seinem Pferd fiel, auf einem Schlachtfeld fern seiner Heimatstadt Istanbul, erschien ihm Sonja, das blinde Mädchen, geführt
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