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Das Feuer von Konstantinopel

Das Feuer von Konstantinopel

Titel: Das Feuer von Konstantinopel
Autoren: Ingmar Gregorzewski
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Flocke selbst mitgekommen, um seinen Sohn abzuholen, anstatt ewig hinter dem Schreibtisch zu hocken und sich den Kopf über Kaffeeladungen und Bananenlieferungen zu zerbrechen. Herr von Flocke hätte ungeniert den Familienpfiff einsetzen können, den jedes Mitglied der Familie von Flocke gelernt hatte. Der Pfiff war ein Marsch – bekannt unter dem Namen „Das ist die Berliner Luft...!“ – und wurde von der Familie bei großen Menschenansammlungen eingesetzt. Herr von Flocke schwor darauf, denn so könne, nach seiner Meinung, niemand aus der Familie verloren gehen. Aber Fräulein Romitschka konnte unmöglich in der Öffentlichkeit pfeifen, schließlich war sie Erzieherin und für so jemanden schickte sich das einfach nicht.
    „Madame“, flüsterte ihr eine dunkle, angenehme Stimme ins Ohr „...darf ich Ihnen zu Diensten sein?“
    „Danke vielmals, vielen Dank auch, der Herr!“, hauchte Fräulein Romitschka zurück, ohne sich auch nur annähernd in die Richtung der Stimme zu drehen.
    Dabei gefiel ihr die Stimme durchaus. Sie rann wie köstlicher Himbeerlikör durchs Ohr. Fräulein Romitschka trank jeden Sonntag Punkt vier Uhr nachmittags ein Gläschen davon, ehe sie das Buch mit den griechischen Dramen aufschlug, die sie so erbaulich fand. Die Stimme kam ihr in diesem tosenden Chaos wie die reinste Wohltat vor.
    Plötzlich streckte sie ein heftiger Schlag gegen ihren Kopf nieder. Vor ihren Augen drehte sich alles und Fräulein Romitschka ging zu Boden, wie ein Boxer in der zehnten Runde. Nun war sie wehrlos. Ungebremst strömte das Geschrei der Leute in ihre Gehörgänge und tobte unkontrollierbar durch ihr Gehirn. Gesichter kamen ihr nahe, fremde Hände rüttelten und schüttelten sie. Fräulein Romitschka wagte kaum die Augen zu öffnen.
    „Es geht mir gut, es geht mir gut!“, flüsterte sie matt.
    Sie ärgerte sich über ihre Ungeschicklichkeit. Wie dumm musste man sein, um gegen einen Eisenträger zu laufen und das mit voller Wucht?
    Oder war sie gestoßen worden? Hatte sie jemand gar absichtlich...?
    Das Nachdenken fiel ihr schwer, denn ihr Kopf schmerzte höllisch.
    Da war sie plötzlich wieder, die angenehme Männerstimme von vorhin.
    „Felix von Flocke... Holen Sie ihn vom Bahnhof ab? Rasch, antworten Sie!“
    Fräulein Romitschka versuchte, das zu der Stimme passende Gesicht auszumachen. Aber es waren zu viele Gesichter, die sich um sie bemühten.
    „Woher wissen Sie...? Kennen wir uns?“, fragte sie zurück, ohne den Mann zu sehen. Er musste irgendwo hinter ihr sein aber sie konnte unmöglich ihren Kopf drehen.
    „Ich werde mich um ihn kümmern... gut kümmern. Schnell, sprechen Sie! In welchem Waggon ist er?“, bedrängte sie die Stimme.
    Fräulein Romitschka kämpfte mit der Ohnmacht, ihre Sinne schienen zu schwinden. ‚Dieser rote Handschuh’, dachte sie, ‚der da meinen Puls fühlt, kommt von ihm dieser Duft...? Den muss ich mir unbedingt merken... wo ist mein Schirm, liege ich etwa im Schmutz? Großer Gott, der Junge... was will man ihm?!?’
    Fräulein Romitschka stiegen Tränen in die Augen.
    „Polizei! Platz da! Gehen Sie auseinander, Herrschaften!“, tönte plötzlich eine kräftige Männerstimme.
    Aufgeschreckt wie ein scheues Tier huschte der rote Handschuh im Schutz der Menge davon.
    „Was ist hier los?“, wollte der Polizist wissen, beugte sich zu Fräulein Romitschka hinunter und ging langsam in die Knie.
    „Es geht schon wieder!“, antwortete Fräulein Romitschka, froh darüber, es mit einem Mann in Uniform zu tun zu haben. „Ich bin gegen eine dieser Eisensäulen gelaufen. Wie dumm von mir!“
    Galant half ihr der Polizist wieder auf die Beine.
    „Weitergehen, hier gibt es nicht zu sehen!“, schnauzte er die Gaffer an.
    Zu Fräulein Romitschka war er umso freundlicher. Ein Lächeln breitete sich über sein Gesicht aus.
    „Fräuleinchen, Sie müssen schon achtgeben, die Welt ist voller Tücken!“
    „Danke vielmals, vielen Dank auch, sehr freundlich, aber nun geht es schon wieder!“, wehrte Fräulein Romitschka den Polizisten ab. „Sie werden sicher Wichtigeres zu tun haben.“
    „Durchaus, Gnädigste“, strahlte der Polizist und strich über seinen Backenbart, „...durchaus! Aber das hier, das hat Vorrang...!“
    Seine Augen glänzten, sein ganzes Gesicht leuchtete, so als gehe zwischen ihm und Fräulein Romitschka die Sonne der Liebe auf.
    Auch Fräulein Romitschka war plötzlich ganz ergriffen und wurde von ihren Gefühlen überwältigt. Sie öffnete ihren
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